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Selbstjustiz für Anfänger: So wird der Wiener „Tatort“ - WELT

Man soll ja gegenwärtig mit guten Nachrichten nicht hinter dem Berg halten, wenn man welche hat. Und wir haben eine. Der Inkasso Heinzi ist wieder da. Ein Stritzi, wie er im Buch steht, eine durch und durch windige Nummer, ein garantiert von aller moralischen Schwerkraft befreiter Luftikus, blaue Augen, rotes Stoppelhaar, loses Mundwerk.

„Endlich wieder z‘ Haus“, sagt er, als er ankommt. Vier Jahre war er nicht mehr z‘ Haus im Wiener „Tatort“, der Heinzi. Und wir haben ihn, also Simon Schwarz, der ihn spielt, doch herzlich vermisst.

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Das z’Haus ist übrigens ein Knast. Da gehört er natürlich irgendwie immer hin, diesmal allerdings besonders. Sonst wäre es mit dem neuen Fall für den Oberstleutnant Moritz Eichner und die Majorin Bibi Fellner ziemlich schief gegangen. Er hilft halt, wo er kann, der Heinzi. Wenn er was davon hat.

Eine schlechte Nachricht haben wir allerdings auch. Wenn nämlich Selbstjustiz in Mode kommt im „Tatort“, ist das ja kein gutes Zeichen für den Zustand der Gesellschaft. Im Kölner „Tatort“ wollte sich in der vergangenen Woche ein Mädchenmissbraucher von aller Schuld reinwaschen mittels eines selbstinszenierten Schauprozesses an Bord eines Touristenschiffes.

Fleischgewordene Büroklammer: Johannes Zeiler ist Stefan Weingartner
Fleischgewordene Büroklammer: Johannes Zeiler ist Stefan Weingartner
Quelle: ARD Degeto/ORF/KGP/Sara Meister

In Wien nun geht ein strenger Mann, ein fleischgewordener hochpräziser, erzkatholischer Beamter mit mangelnder Impulskontrolle hin und schneidet seiner Frau und deren bester Freundin die Kehle durch. Die Gattin hatte beim Proseccoschlürfen in der Hölle der Siebziger-Spießigkeit, die sie und der gestrenge Beamte ihres Herzens ihr Zuhause nennen, in den höchsten Tönen vom Beischlaf mit ihrem Fitnesstrainer erzählt.

Damit haben wir aber gerade mal die erste Stufe der Selbstjustizspirale betreten. Der Mann – Johannes Zeiler gibt ihm eine ganz grandios widerwärtige Statur – wird nämlich freigesprochen. Er hatte einen findigen Anwalt. Der hat auch den Inkasso Heinzi vertreten.

Dem katholisch-orthodoxen Doppelmörder, der eigentlich bestraft werden will, ist das gar nicht recht. Er weiß nicht, wie ihm geschieht. Dann liegt der Anwalt in seinem Blut. Und der strenge Doppelmörder, mit dem sich der Heinzi im Knast anfreundet (über dramaturgische Plausibilität des eigentlich fein verwinkelten Buchs von Karin Lomot und Robert Buchschwenter denkt man besser nicht nach), ist verschwunden.

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Immer mehr Verdächtige aus Geschichte und Gegenwart des Wiener „Tatort“ werden aufgefahren. Immer weniger bleiben übrig. Die Bibi und der Moritz diskutieren an einer geradezu kölschen Würstelbude und philosophieren über Freundschaft. Eines der Lieblingsphänomene des gegenwärtigen „Tatort“ erlebt fröhliche Urständ – Hybristophilie, wenn Frauen sich in Schwerverbrecher verlieben. Der Heinzi wird von seiner Vergangenheit eingeholt, ziemlich verprügelt und macht sich nützlich.

Durch bizarre Seelenlandschaften und durch Gero Lasnigs geradezu altmeisterliche, brokatene Bilder waten die Bibi und der Moritz. Allein dieser Stillleben wegen lohnt der Aufenthalt im Selbstjustiz-Labyrinth, das „Tatort“-Debütant Gerald Liegelt elegant ausleuchtet. Und natürlich, weil der Heinzi wieder da ist. Wir plädieren für eine eigene Serie.

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