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Wille, Rohstoffe, neue Technik: Wie Skandinavien die Energiewende vormacht - n-tv.de - n-tv NACHRICHTEN

Spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind Europas nordische Länder starke Treiber des Umbaus hin zu CO2-neutralen Volkswirtschaften. Sie verfügen nicht nur selbst über nötige Rohstoffe und Technologien. Ausgerechnet die traditionelle Industrie treibt den Umbruch ebenso voran.

Es war eine aufsehenerregende Meldung: Ende Juni wurde bekannt, dass unter dem Boden Südnorwegens Phosphatgestein im Umfang von 70 Milliarden Tonnen lagert. Dass es Vorkommen in der Region gibt, war seit langem bekannt - überraschend aber war die Menge. Das nun angenommene Volumen entspricht fast dem sämtlicher bis dato weltweit nachgewiesenen Reserven. Der Rohstoff wird vor allem in Düngemitteln eingesetzt und ist daher unerlässlich für die Landwirtschaft.

Auf einen Umstand aber legte die Europäische Kommission besonders großen Wert, als sie den Fund begeistert kommentierte: Phosphor wird auch in Batterien benötigt, die Elektroautos antreiben oder die Energie von Photovoltaikanlagen speichern. Er wird also für den Wandel zu einer CO2-neutralen Wirtschaft gebraucht - und da ist es nicht schlecht, mit Norwegen einen Lieferanten zu haben, der als zuverlässig gilt und nicht wie Marokko oder China zu den Autokratien dieser Welt zählt.

Die Nachricht aus Norwegen wurde auch deshalb so freudig begrüßt, weil das Nachbarland Schweden bereits im Januar eine sehr ähnliche Entdeckung verkünden konnte: In der Lagerstätte Per Geijer im Norden des Landes wurde das bisher größte europäische Vorkommen an Seltenen Erden ausgemacht, einer Gruppe von Metallen, die in Mobiltelefonen, aber auch in Windturbinen und Elektroautos zum Einsatz kommt. Bisher kommen die Rohstoffe überwiegend aus China, und auch hier feierten Experten die Chance, sich ein Stück weit aus dieser Abhängigkeit zu befreien.

Skandinavien als "Silicon Valley der Nachhaltigkeit"

Die beiden Funde passen zu einer Entwicklung, die sich spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine mit wachsendem Tempo vollzieht. Die nordischen Staaten Europas werden zum Treiber des Umbaus hin zu CO2-neutralen Volkswirtschaften in Europa. Und sie bringen das verlockende Versprechen mit, die bisherigen Lieferanten der Rohstoffe und Technologien, die dafür unerlässlich sind, zumindest zu ergänzen.

Dabei ist ein Umfeld entstanden, in dem die Regierungen, Geldgeber und viele Industrieunternehmen der Region sehr ähnliche Ziele verfolgen, ein "Ökosystem" in der Sprache der Startup-Welt. Das Beratungsunternehmen McKinsey sieht in einer Studie bereits "ein nordisches Silicon Valley der Nachhaltigkeit" in der Entstehung begriffen.

Auffällig ist: Die Transformation geht nicht nur von jungen Wachstumsunternehmen aus, sondern kommt oft gerade aus der traditionellen Industrie. "Zu einem großen Maße sind es die etablierten Unternehmen, die die grüne Entwicklung vorantreiben", sagt Teis Hansen, Professor an der Universität Kopenhagen, der den Umbau mit einer Forschungsgruppe untersucht hat. "Wir haben das im Forstwesen, der Papierindustrie, in der Seefahrt und im Transport gesehen."

Pioniere bei CO2-Steuern

Ein Grund dürfte sein, dass die nordischen Staaten schon sehr früh auf eine Besteuerung von CO2-Emissionen gesetzt haben, als dies in anderen Ländern noch kaum denkbar war. Schon 1990 wurde eine CO2-Bepreisung in Finnland eingeführt, dicht gefolgt von hohen Energiesteuern in Dänemark, Schweden und Norwegen. Joachim Roth vom International Institute for Sustainable Development, einem kanadischen Forschungsinstitut, kommt zu dem Schluss, dass die nordischen Staaten die Energiesteuern auch zur Haushaltssanierung nach Wirtschaftskrisen einsetzten, ohne dass dies mittelfristig dem Wirtschaftswachstum geschadet habe: "Ende der 90er Jahre hatten alle nordischen Länder ihre Budgetdefizite in Überschüsse verwandelt und ihre Arbeitslosenraten abgebaut", so Roth.

Die Unternehmen aber hatten sich inzwischen umorientiert und damit schon früh ein wirtschaftliches Umfeld geschaffen, das auf erneuerbare Technologien ausgerichtet war: Startups, staatliche Förderung, universitäre Forschungszweige, Private-Equity-Fonds und etablierte Unternehmen, die dringend auf neue Technologien angewiesen waren. "In gewisser Hinsicht haben die nordischen Staaten heute die Bedeutung für Nachhaltigkeit, die das Silicon Valley in den 90er Jahren für Technologie hatte", heißt es in der McKinsey-Studie. "Vieles von dem, was gebraucht wird, um auf diesem Gebiet zu wachsen und dominant zu werden, ist jetzt schon da und muss nur noch genutzt werden."

In folgenden Bereichen einer auf CO2-Neutralität ausgerichteten Wirtschaft sind die nordischen Staaten bereits aktiv oder dabei, sich als Vorreiter zu etablieren:

Batterien

Die Northvolt AB mit Sitz in Stockholm ist das erste Unternehmen Europas, das eine eigene Entwicklung und Produktion von Batterien für Elektroautos aufgebaut hat. Nahe der Stadt Skellefteå an der Küste Nordschwedens ist dafür eine Fabrik im Ausbau, die in der abschließenden Stufe dreimal so groß wie das Pentagon sein wird. Die Produktion soll ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energien stattfinden. Das ist möglich, weil die Region in Schweden über einen Überfluss an Wasserkraft verfügt.

Unter den Kunden sind Volkswagen, BMW und Volvo. Weitere Fabriken entstehen im polnischen Danzig und im norddeutschen Heide. Der ursprüngliche Investor hinter Northvolt, die schwedische Vargas-Gruppe, hat zudem mit Polarium ein weiteres Unternehmen finanziert, das größere Energiespeicher für Unternehmen entwickelt.

Elektrifizierung

Die nordischen Staaten haben sich in den vergangenen Jahren zu dem Testlabor schlechthin für Elektroautos entwickelt. In Norwegen betrug der Anteil reiner Batteriefahrzeuge an den Neuzulassungen im Jahr 2022 fast 80 Prozent. Es folgen Island und Schweden mit je 33 Prozent, auch Dänemark ist weit vorne mit dabei. Hinzu kommt, dass in allen Staaten der Anteil der Erneuerbaren am Strommix hoch ist, so dass die CO2-Bilanz der Stromer besser ist als zum Beispiel derzeit noch in Deutschland.

Doch nicht nur im Transport spielt Elektrifizierung im Norden eine Rolle, sondern auch beim Heizen. Bei der Zahl der installierten Wärmepumpen pro 100.000 Einwohner liegen Norwegen, Finnland und Schweden in Europa weit vorne. Der starke Einsatz der Technik in diesen oft eher kalten Staaten bringt einen weiteren Vorteil mit sich: Elektroautos und Wärmepumpen können im großen Stil unter vergleichsweise ungünstigen Bedingungen getestet werden.

Auffangen von CO2

An der norwegischen Westküste entsteht eines der größten Projekte für die Abscheidung und Speicherung von CO2-Emissionen. Dabei wird der Schadstoff an Industrieanlagen aufgefangen, in einen transportfähigen Zustand umgewandelt und in riesige Lagerstätten unter dem Meeresboden gebracht: das sogenannte Carbon Capture & Storing (CCS). Die Technologie des Northern-Lights-Projektes wird unter anderem vom norwegischen Energiekonzern Equinor vorangetrieben und ist unter Umweltschützern umstritten: Während Greenpeace darin ein riskantes Greenwashing der Ölindustrie sieht, machen norwegische Verbände sogar Lobbyarbeit für die Technik.

Ihre Argumentation: Selbst wenn Transport und große Teile der Produktion auf CO2-Neutralität umgestellt sind, werden nach wie vor Schadstoffe ausgestoßen, zum Beispiel in der Zementproduktion oder bei der Herstellung von Stahl. Dem sei nur mit CCS zu begegnen. Es ist eine Sichtweise, die auch von deutschen Wissenschaftlern geteilt wird. Die europaweit mit Abstand größten Auffanglager für das CO2 aber liegen in: Norwegen.

Stromerzeugung

Photovoltaik spielt in den nordischen Staaten naturgemäß eine untergeordnete Rolle. Allerdings gleichen die Länder dieses Manko mehr als aus, indem sie konsequent auf andere erneuerbare Energiequellen setzen. In Schweden hatte die Wasserkraft 2022 einen Anteil von mehr als 40 Prozent am Mix der Stromerzeugung, in Norwegen waren es sogar einzigartige 88 Prozent - womit das Land beim Strom so gut wie CO2-neutral ist.

Dänemark wiederum hat sich zu einer Art Weltmeister bei der Produktion von Windkraft entwickelt, die Turbinen erzeugten 2022 mit 55 Prozent deutlich mehr als die Hälfte des dänischen Stroms. Dem kleinen Land ist es auf diese Weise sogar gelungen, den immer noch größten Hersteller von Windturbinen der Welt zu etablieren: das Aarhuser Unternehmen Vestas. Anders als Deutschland setzen die nordischen Staaten darüber hinaus auch weiterhin auf die emissionsarme Kernenergie. Mit Ausnahme von Norwegen hat die Kernkraft im ganzen nordischen Raum noch eine wichtige Funktion im Strommix.

Luftfahrt

Wer in den nordischen Staaten unterwegs ist, muss oft gewaltige Entfernungen zurücklegen, die Länder sind dünn besiedelt und Städte liegen in vielen Fällen weit voneinander entfernt. Hinzu kommt, dass wie in Norwegen viele Fjorde die Küstenlinie durchbrechen, sodass selbst Orte, die nach Luftlinie nahe beieinander liegen, nur durch tagelange Autofahrten zu erreichen sind. Es ist daher kein Wunder, dass sich Unternehmen in Schweden, Norwegen und auch Finnland eine der wohl komplexesten Aufgaben der Klimawende vorgenommen haben: einen elektrifizierten Flugverkehr.

Das schwedische Startup Heart Aerospace arbeitet an kleinen, rein elektrischen Flugzeugen für den Regionalverkehr und bereitet sich auf erste Probeflüge vor. Das norwegische Unternehmen Elfly wiederum hat ein elektrisches Wasserflugzeug vorgestellt, das in den Fjorden landen können soll und ab 2030 zum Einsatz kommen soll. Die Technik ist allerdings noch ein ganzes Stück von der Zulassung entfernt, weshalb auch an anderen Stellen getüftelt wird: Das finnische Unternehmen Neste, eigentlich ein traditioneller Ölkonzern, hat sich zum weltgrößten Hersteller nachhaltiger Flug-Treibstoffe entwickelt - die aus altem Speiseöl, Abfällen oder bald sogar Algen hergestellt werden. Die bei vielen Fluggesellschaften begehrten Treibstoffe trugen 2022 schon die Hälfte des Konzerngewinns bei.

Der Artikel erschien zuerst bei Capital.de

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