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Tücken der Technik - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wenn ein technisches System in einem Gebäude lahmgelegt wird, hat das Folgen, die oft weit über dieses System hinausreichen können. In Berlin droht diesem Umstand eine der wenigen Architekturikonen der Nachwendezeit zum Opfer zu fallen: das 1998 fertiggestellte GSW-Hochhaus im Zeitungsviertel an der Rudi-Dutschke-Straße. Der knapp 82 Meter hohe Turm, der schon mehrere Eigentümerwechsel erlebt hat, sorgt durch seine in neun unterschiedlichen Rottönen schillernden Sonnenschutzlamellen an seiner Westfassade, die sich individuell einstellen lassen, für immer neue Ansichten. Wer vom Fernsehturm nach Westen oder vom Funkturm nach Osten über die weit ausgestreckte Innenstadt sieht, dem fällt im Häusermeer die farbige Scheibe auf. Es handelt sich um einen der ersten Versuche, in der Innenstadt eine dezidiert ökologische Architektur zu entwickeln, die nicht im Holzbretter-Look daherkommt.

Dieses Haus soll aber nun radikal umgebaut werden – und zwar auch deswegen, weil die Westfassade nicht mehr so funktioniert wie vorgesehen. Gekühlt werden sollten Fassade und Innenräume, so war es das im Wettbewerb 1991 siegreiche und damals revolutionäre Konzept der Architekten Mattias Sauerbruch und Louisa Hutton sowie der Ingenieurfirma Arup, durch den Luftstrom in dem etwa einen Meter breiten Fassadenzwischenraum, der vom Sockel bis zum schlank gebogenen Flugdach reicht. Doch die GSW ließ, wie sich nun herausgestellt hat, um das Jahr 2005 die Lüftungsöffnungen verschließen. Die Folge: Hinter der gläsernen Außenhaut der Fassade steigt die Temperatur an schönen Sonnentagen nicht nur auf etwas über 30 Grad, sondern auf fast siebzig Grad. Die Metallteile verbiegen sich, und in den Räumen, die eigentlich natürlich belüftet und gekühlt werden sollen, müssen Kühlaggregate aufgestellt werden. Aus der avantgardistischen Öko-Architektur ist ein Energiefresser geworden, in dem zudem die Lamellen klappern. Obendrein arbeiten heute viel mehr Menschen in dem Haus als einst geplant, auch deswegen sind die ursprünglichen Lüftungssysteme überlastet.

Ästhetische Wirkung und luftige Erscheinung wären dahin

Die Umbaupläne sorgen in der Berliner Architektenschaft für helle Empörung. Deshalb hat sich nun auch das Berliner Baukollegium in einer Anhörung mit der Zukunft des Hauses beschäftigt; das Gremium berät die Senatsbaudirektorin in Fragen der Architektur. Vierzig Prozent der Fassade, so die Vertreter der in Paris firmierenden Fondsbesitzer des Gebäudes und der in Hamburg sitzenden Hausverwalter des Unternehmens Sienna, seien nicht mehr funktionsfähig, die Energiekosten lägen um etwa dreißig Prozent über denen vergleichbarer Häuser. Auch ihnen sei bewusst, dass diese Fassade mehr sei als nur eine Äußerlichkeit, nämlich ein Kunstwerk mit überregionaler Wirkung. Tatsächlich hat unter den vielen Hochhäusern Berlins, die nach der Wende entstanden, nur das GSW-Hochhaus für Furore gesorgt. Das Modell und die Pläne wurden in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen, kaum zählbar sind die Auszeichnungen und Preise, die das Büro Sauerbruch & Hutton für dieses Projekt erhielt, mit dem sein Aufstieg begann.

Das GSW-Hochhaus hinter Aldo Rossis „Quartier Schützenstraße“

Das GSW-Hochhaus hinter Aldo Rossis „Quartier Schützenstraße“ : Bild: picture-alliance / DUMONT Bildarchiv

Sienna hat angekündigt, einen „neu­tralen“ Gutachter zu beauftragen. Er soll einerseits herausfinden, inwieweit die Fassade noch instand zu setzen ist. Andererseits soll aber auch das Projekt weiterverfolgt werden: Der Ersatz der vertikal drehbaren und deswegen, wie die Architektin Louisa Hutton betont, eben auch durchsichtigen Fassadenpaneele durch horizontal aufzuziehende, gegen das Sonnenlicht vollständig geschlossene Jalousien. Das GSW-Hochhaus bliebe zwar städtebaulich dominant neben dem goldenen Springer-Hochhaus und dem strengen Takt der Hochhäuser an der Leipziger Straße, diesen gebauten Symbolen des Kalten Kriegs. Aber seine ästhetische Wirkung und seine luftige Erscheinung wären dahin.

Eintragung in Denkmal-Liste möglich

Zur Debatte steht somit auch eine Architektur, die in den Neunzigerjahren einer der wichtigsten Kontrapunkte war zu den Rasterbauten des Wiederaufbaus der Innenstadt nach dem Fall der Mauer. Das GSW-Hochhaus wurde damals als Symbol einer neuen, kritisch die Erinnerung an das vergangene Berlin überdenkenden Zeit gefeiert, durchaus vergleichbar mit dem fast gleichzeitig errichteten Jüdischen Museum Daniel Libeskinds. Beide Bauten brachen demonstrativ mit der in der Stadtplanung jener Jahre unter Senatsbaudirektor Hans Stimmann verbreiteten Anknüpfung an die Blockrandstruktur der Kaiserzeit. Sie setzen sich stattdessen mit der nach dem Krieg entstandenen, lockeren Stadtstruktur der südlichen Friedrichstadt auseinander. Weit mehr aber als Libeskind, der vor allem durch die mythisch aufgeladene Zackenarchitektur bis heute für Aufregung sorgt, war das GSW-Hochhaus dabei auch ein in die Zukunft gedachter Bau mit seinem Versuch, die Sonne und die Menschen selbst zum Motor für das Erscheinungsbild des Hauses zu machen.

Matthias Sauerbruch beklagte vor dem Baukollegium, dass dieser Versuch von keinem der vielen Besitzer des Hauses je ernst genommen worden sei. Deswegen sei die Fassade nicht angemessen behandelt und instand gehalten worden. Er forderte deswegen, erst einmal die um 2005 verschlossenen Lüftungsöffnungen wieder zu öffnen und dann zu prüfen, was vom einstigen Fassadenkonzept gehalten und was erneuert, vielleicht ersetzt werden müsse. Das Baukollegium forderte seinerseits unisono vom Bauherrn, die Außenansicht und die luftige Innenwirkung des Baus sowie den ständigen Wechsel der Außenansichten zu erhalten – was, so Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt, mit dem bisher vorgeschlagenen Rollo-System kaum zu machen sei.

Unausgesprochen stand im Raum immer die Drohung – gerade, als die erfahrene Denkmalpflege-Architektin Kahlfeldt den Eigenwert jedes bereits gebauten Hauses betonte –, dass auch eine Eintragung in die Denkmalliste möglich sei, falls die Eigentümer an ihren Umbauplänen festhalten. Die Begründung für eine solche Eintragung wäre blitzschnell geschrieben, schließlich handelt es sich um eine der Ikonen des neuen Berlins.

Überragend: Das GSW-Hochhaus in der Kreuzberger Charlottenstrasse

Überragend: Das GSW-Hochhaus in der Kreuzberger Charlottenstrasse : Bild: picture alliance / Bildagentur-online/Schoening

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