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David Freel: Zum Tod des Swell-Frontmannes - DER SPIEGEL

Aus dem düsteren Herzen San Franciscos: Wie kein anderer stemmte sich David Freel mit seiner Band Swell gegen die Gentrifizierung der Tech-Metropole. Nun ist er mit 64 Jahren gestorben.
David Freel (1958 - 2022)

David Freel (1958 - 2022)

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Bob Berg / Getty Images

Orte sind wie Menschen. Einige ändern sich nie; andere plustern sich auf, bis sie ihren Charakter verlieren. Tenderloin gehört in die erste Kategorie. Ende der Achtzigerjahre, als David Freel hier seine Band Swell gründete, waren in dem Viertel im Herzen von San Francisco die Straßenprostitution und der quasi-offene Drogenhandel angesiedelt. Bis heute hat sich sonderbarerweise wenig geändert.

Während der Rest der Tech-Metropole San Francisco gentrifiziert wurde, bis sich kein Normalverdiener mehr die Miete leisten konnte, blieben die paar Quadratkilometer zwischen Rathaus und Einkaufs-City ein schwarzes Loch. Die Verbrechensrate soll weiterhin hoch sein, der größte Teil des verdeckten Sex Trafficking der Bay Area findet angeblich noch immer hier statt, die Behörden schauen offenbar machtlos zu.

Bis 2018 spendierte die Stadt dem Viertel immerhin 300 neue Straßenlaternen. Die Pfähle mussten erneuert werden, weil sie vom Urin der Sextouristen und Obdachlosen korrodiert waren.

Tenderloin im Jahr 1995: Vergessen von der Gentrifizierung

Tenderloin im Jahr 1995: Vergessen von der Gentrifizierung

Foto: Robert Gumpert/Redux/laif

Als David Freel vor fast 35 Jahren gemeinsam mit seinem Kompagnon Sean Kirkpatrick in Tenderloin das Projekt Swell ins Leben rief, schienen hier die Regeln des Rests der Welt außer Kraft gesetzt. Nicht der schlechteste Ort also, um eine Musik zu kreieren, die ebenfalls völlig frei von allen Regeln war. Kirkpatricks Schlagzeug klapperte wie ein Gullideckel, Freel sang dazu mit einem rissigen, raunenden Bariton, der jeder Melodie auszuweichen schien.

Zuhaus in fremden Straßen

Trotzdem entwickelte die Band einen unglaublichen, düsteren Sog. Ihre Songs trugen Titel wie »Suicide Machine« oder »Rainy Night in August«. Schwarz, schwärzer – Swell!

Als Anfang der Neunziger ihre Musik nach Deutschland gespült wurde, hatte man so etwas noch nicht gehört. Swell waren unvergleichlich. Vom überdrehten Skate-Punk, der damals in der Bay Area gespielt wurde, waren sie ebenso weit weg wie vom sonnigen Folk-Revival mit all seinen liebreizenden Sängerinnen und Sängern, das von San Francisco seinen Ausgang nahm. Sie waren Fremde in den Straßen, in denen sie lebten – und doch ganz mit ihnen verwoben. In ihre frühen Arbeiten hallten Sounds von Tenderloin nach, sie griffen Geschichten auf, die sie vor Ort fanden. Da drang kein Licht in ihre Blues-Songs, aber viel Geräusch und Geraune aus der unmittelbaren Umgebung.

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Unter Spezialisten wurde Freel bald als Genie gefeiert. Der mächtige Produzent Rick Rubin, der später die knorrigen Alterswerke von Johnny Cash oder Black Sabbath aufnahm, holte ihn mit Swell zu seiner einflussreichen Plattenfirma American Recordings – wo er auf einmal ein Labelmate von Slayer und den Black Crowes war. Und der damals angesagte Schauspieler und Produzent Griffin Dunne engagierte Swell für einen Film, in dem sie dann neben Uma Thurman und Kiefer Sutherland zu sehen waren. Letztendlich aber war die Band nicht für die Glamourzonen des Unterhaltungsgeschäfts gemacht.

Ihr Aufstieg scheiterte so grandios wie die Gentrifizierung von Tenderloin. Swell blieben die sinistren Zausel im Schatten der Facebookisierung San Franciscos, sie blieben das düstere Unterbewusstsein des beginnenden Tech-Zeitalters. Und spielten noch bis in die Nullerjahre fantastische analoge Alben ein.

Für Konzerte in Deutschland reichte es da schon nicht mehr. Der Autor dieser Zeilen sah Swell zuletzt 2009 in einer schönen Kaschemme am Tejo in Lissabon vor einem recht desinteressierten Publikum und hoffte darauf, dass David Freel irgendwann noch mal von seinem Ex-Labelchef Rubin zu einem Alterswerk genötigt würde, das ihm dann den späten verdienten Ruhm als Poet brächte. Doch dann verliefen sich die Spuren; da war niemand, der das Vermächtnis von Swell verwaltete.

Die letzten Jahre verbrachte Freel dem Vernehmen nach in Oregon City, wo er ein kleines Vinylpresswerk betrieb, bei dem man auf Bestellung Platten herstellen lassen konnte. Wie unter anderem das US-Musikmagazin Pitchfork berichtet, starb der große Songwriter und Soundkünstler dort im Alter von 64 Jahren.

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