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Berlinale: Wie im falschen Film | ZEIT ONLINE - ZEIT ONLINE

In einem hat der künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, natürlich Recht: Das Beschäftigen mit Film verschafft einen anderen Blick auf die Welt. Möglicherweise liegt es also daran, dass er gemeinsam mit seiner Ko-Leiterin Mariette Rissenbeek am heutigen Mittwoch nicht nur das endgültige Programm für die kommende Berlinale verkündet hat, sondern auch tatsächlich daran festhält, das Großevent in drei Wochen in Präsenz durchzuziehen. Den Plan, sie nennen es Konzept, legen sie also just an dem Tag vor, an dem Deutschland die höchsten Inzidenzzahlen seit Ausbruch der Pandemie verzeichnet und für Mitte Februar noch mal höhere Höchststände der Infektionen prognostiziert werden.

Während wir hier also hoffentlich gesund und so weit wie möglich zu Hause ausharren, damit Ärztinnen und Pflegepersonal nicht endgültig überlastet werden und auch sonst für die Infrastruktur notwendige Menschen gesund bleiben, ach, überhaupt möglichst viele Menschen gesund bleiben, auch alle Filmliebhaber, genau während dieser Zeit sollen in Berlin möglichst viele Zuschauerinnen und Zuschauer in die Kinos gehen (viele vermutlich auch: mit Bus oder U-Bahn fahren), um einen oder mehrere der 256 Filme zu schauen, die nun final im Programm sind. Von einem digitalen Ausweich- oder Hybridkonzept für den internationalen Wettbewerb oder die Galaevents der Berlinale-Special-Reihe im Friedrichstadtpalast ist keine Rede. Es klingt wie Hohn.

Schon vor der Pressekonferenz hatte Chatrian erklärt, es gehe für die Berlinale darum "als Beschützer*in eines Raums in Erscheinung zu treten, der zu verschwinden droht". Das Kino also. Nun gehen nach wie vor viele Menschen sehr gerne ins Kino. Wohl keiner wünscht sich, dass sie schließen müssen (was in Deutschland bislang übrigens auch nicht passiert ist, dank der Findigkeit und des Durchhaltevermögens ihrer Betreiber, der Unterstützung des Staates und der lokalen Zuschauerinnen). Aber infizieren sollte man sich halt auch nicht, und dieses Risiko ist mit einer so infektiösen Variante wie Omikron eben nicht gleich null, selbst wenn Kinosäle mit Schachbrettmusterbesetzung sehr sicher sind – ebenso sicher natürlich wie die Warteschlange davor, die Fahrt dorthin in Bus oder U-Bahn, der Kneipenbesuch danach.

Da auch die Festivalleitung der Berlinale um die Risiken weiß, muss es ihr noch um etwas anderes gehen: das Überleben der Berlinale. Chatrian sagt, die könne "nur unter bestimmten Bedingungen existieren" und meint damit Kinos mit anwesendem Publikum. Aber hierin liegt auch ein Irrtum. Die Qualität eines Films hängt nicht nur an seinem Abspielort.

Natürlich ist es aus cinephiler Sicht wünschenswert, dass möglichst viele Menschen von interessanten Filmen erfahren, sie sehen können, sich darüber austauschen. Aber das ginge auch mit einem hybriden Festival oder gar einem rein digitalen Sichtungskonzept. Andere Festivals wie das Münchner DOK oder das nordamerikanische Sundance haben es gezeigt: Als Zuschauer bekommt man Zugang zu einer Onlineplattform, auf der die Filme für einen begrenzten Zeitraum gesichtet werden können. Abo- wie Einzelticketmodelle sind möglich (und für akkreditierte Journalistinnen aus aller Welt freie Zugänge). Funktioniert prima. Das DOK-Festival konnte sich im vergangenen Jahr sogar über deutlich mehr Zuschauer freuen, weil es plötzlich eben auch für einen Interessierten in Emden möglich war, einen Film anzuschauen, der sonst nur in München zu sehen gewesen wäre. Das kann man durchaus auch als Chance für einen Film begreifen. Sundance gilt schon länger als Festival für die Filme und Filmemacher von morgen. Nun hat es sich ebenso in seiner Organisation als zukunftsweisend bewiesen.

Auch als Chatrian am Mittwoch das Programm für den Internationalen Wettbewerb verliest, sind einige Filmemacherinnen und Schauspieler dabei, die Lust darauf machen, sich ihre Arbeit anzugucken: Peter Strickland, Ursula Meier, Jessica Krummacher, Ulrich Seidl, Arnaud des Pallières, Charlotte Gainsbourg, Sophie Rois. Nur eben nicht bei absehbar neuen Inzidenzhöchstständen in einem Berliner Kino.

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