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Formel 1 in Istanbul: Technik-Poker um den Titel - Süddeutsche Zeitung - SZ.de

Für Max Verstappen ist es angeblich ganz leicht, mit der zugespitzten Situation an der Spitze der Formel 1 umzugehen: "Selbst wenn wir am Ende nur den zweiten Platz belegen würden, dann wäre es eine großartige Saison. Auch ein Titelgewinn würde mein Leben nicht verändern", sagt er. Doch die Halbwertszeit dieser Aussage vor dem Großen Preis der Türkei dürfte nicht allzu groß sein. In den letzten sieben Rennen des Grand-Prix-Jahres ist noch alles drin - der zu erwartende Showdown erst im Finale ebenso wie der Alleingang eines der beiden Titelkandidaten. Momentan trennen Spitzenreiter Lewis Hamilton und seinen niederländischen Herausforderer lediglich zwei Pünktchen.

Zuletzt in Sotschi, als Verstappen wegen eines kompletten Wechsels des Antriebsstrangs am Red-Bull-Honda ganz ans Ende des Feldes zurückmusste und mit kräftiger Hilfe eines Regenschauers zum Schluss noch auf Rang zwei gespült wurde, war die Taktik von Red Bull Racing aufgegangen. Ein frischer vierter Motor soll für die Schlussphase der Saison neue Energie geben, und in Russland erschien den Strategen die Chance am größten, nicht so viel Boden auf Hamilton zu verlieren.

Nun, in Istanbul, müssen die Mercedes-Taktiker dagegenhalten. Auch Hamilton will für den Kampf möglichst perfektes Material haben, weshalb auch der Brite jetzt in der Startaufstellung zurückgestuft wird. Allerdings nur um zehn Plätze, da er lediglich die Komponente Verbrennungsmotor ausgetauscht hat (und nicht die Elektromotoren und das Getriebe). Das erscheint ungewöhnlich, und wird vom Gegner sofort anders interpretiert. Offenbar sei das kein freiwilliger Wechsel, die Mercedes-Aggregate hätten ja in dieser Hinsicht schon häufiger geschwächelt in diesem Jahr, heißt es von Red Bull. Mercedes scheint zwar mit dem Teil-Wechsel auf Nummer sicher gehen zu wollen, verweist aber auch darauf, dass Hamilton noch zwei seiner bisherigen Antriebseinheiten nicht komplett ausgereizt habe und im Notfall darauf zurückgreifen kann. Ein komplizierter technischer Poker, dem noch komplizierteren Reglement geschuldet.

Valtteri Bottas startet von Platz eins

Am Samstag in der Qualifikation ist Teil eins des Mercedes-Plans schon aufgegangen: Hamilton dominierte das Qualifying und fuhr die 102. Pole-Position seiner Karriere ein, die aber wegen der Rückstufung nicht für die offizielle Statistik zählt. Teamkollege Valtteri Bottas erfüllte mit dem zweiten Platz ebenfalls sein Soll. Der Finne geht jetzt als Erster ins Rennen, neben ihm steht auf dem kurzen Weg zur ersten Kurve Verstappen. Die Frage wird sein: Wie schnell kann Hamilton vom elften Rang aus nach vorn kommen?

Mittelfeldstarts bergen immer auch eine erhöhte Crashgefahr. Damit sind wieder die Taktiker am Werk: Vornehme Zurückhaltung oder ungebremster Vorwärtsdrang? Zur schon theoretisch schwierigen Entscheidung gesellt sich dann noch die Praxis: Hamilton sind in dieser Saison schon ein paar Startmanöver misslungen. Jeder Ausfall jetzt könnte schon maßgebliche Auswirkungen auf den Ausgang des Titelrennens haben, was - bei beiden Piloten - wohl doch für eine gewisse Unruhe sorgen dürfte.

Längst ist die Formel 1 im Stadium der mind games angekommen. Verstappen hat es mit seiner frechen Unbeschwertheit einfach, mögliche Unsicherheiten zu überspielen. Außer ihm hat es in der Hybrid-Ära niemand geschafft, Mercedes dauerhaft so nah zu kommen. Allerdings ist der Druck auf den 24-Jährigen auch enorm, darin liegt die Gefahr. Teamchef Christian Horner und Berater Helmut Marko peitschen mal laut, mal leise die Emotionen hoch. Zwei Crashs zwischen den Top-Piloten und unschöne verbale Auseinandersetzungen danach zeugen von der Anspannung.

In wie weit Hamilton die Chance auf den achten Titel noch verrückt macht, hat er im SZ-Interview bereits relativiert. Um jene Ultra-Gelassenheit zu demonstrieren, an der sein ehemaliger Teamkollege und Rivale Nico Rosberg regelmäßig verzweifelt ist, benutzt der Titelverteidiger in diesem Jahr exzentrische Auftritte an der Rennstrecke. In Istanbul kam er im blauen Faltrock. Seine Statusmeldungen in den sozialen Medien kamen von Ausflügen zur Met-Gala in New York und zur Pariser Modewoche. Es erscheint fast, als wolle er Verstappen zeigen: Sieh' her, Formel 1 interessiert mich gar nicht so sehr.

In Istanbul sagte er: "Mode ist meine Flucht vor dem Druck in der Formel 1. Ich liebe es, den Sport für ein Weilchen komplett auszublenden. Denn diese WM-Saison ist besonders intensiv. Etwas anderes zu haben, auf das man sich noch konzentrieren kann, lindert den Druck." So könne er frisch, erholt und gern an die Rennstrecke zurückkehren und mit einer positiven Einstellung in seinen eigentlichen Job starten. An diesem Wochenende noch zusätzlich mit einem frischen Verbrenner.

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