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DFB-Star eskaliert den Protest:Kroos schickt Kampfansage nach Katar - n-tv NACHRICHTEN

Die Nationalmannschaft protestiert für die Einhaltung der Menschenrechte, konkret adressiert wird die Kritik nicht. Das Zeichen ist dennoch wichtig, es gibt viel Lob. Nun regt ein DFB-Star an, den Protest auf ein neues Level zu bringen. Das wäre ein Paradigmenwechsel.

Leon Goretzka ist ein reflektierter junger Mann, der Profi vom FC Bayern ist meinungsstark und scheut sich im Gegensatz zu vielen Kollegen nicht, sich über die üblichen Kampagnen von Vereinen und Verbänden zu gesellschaftlichen Themen zu positionieren. Klar, pointiert und ohne Hintertür: "Fritz Walter hat mal gesagt, dass alle Nationalspieler Außenminister in kurzen Hosen sind. Den Spruch finde ich sehr gut. Wir Spieler sollten die große Aufmerksamkeit, die wir bekommen, nutzen, um für solche Themen zu sensibilisieren", hatte er mal gesagt.

Nur mit der Formulierung seiner Kritik an den kommenden WM-Gastgebern Katar tat sich Goretzka jüngst arg, überraschend schwer. Am Donnerstag hatten die Nationalspieler mit selbst bepinselten Trikots vor dem Spiel gegen Island den Schriftzug "HUMAN RIGHTS" gebildet. Menschenrechte, klar, eine universell gute Sache.

Was aber genau klargemacht werden sollte, blieb zu diffus. Daran konnte auch der eloquente, kluge Goretzka nichts ändern, der auf Nachfrage der RTL-Reporterin Laura Wontorra erklärte: "Es ist ja ziemlich eindeutig gewesen, ähem. Wir haben, äh, einfach in der Mannschaft darüber gesprochen, ähem. Wir haben natürlich auch, äh, die WM vor uns, ähem, da wird immer wieder drüber diskutiert. Das, äh, möchten wir auch der Gesellschaft klarmachen, dass wir das nicht, äh, also dass wir das nicht, äh, ignorieren, sondern dass wir ganz klar sagen, was für Bedingungen da herrschen müssen, und äh, das haben wir heute auch versucht von unserer Seite klarzumachen." Joshua Kimmich, noch einer, der sich Gedanken macht, forderte immerhin: "Jetzt muss man die Gelegenheit nutzen, aufmerksam zu machen." Der Fußball habe die nötige "Strahlkraft", meint der 26 Jahre alte Bayern-Profi.

Kroos will Protest "auch während des Turniers"

Richtig konkret wird nun jemand, der dieser Tage gar nicht Teil des DFB-Trosses ist: Toni Kroos. Nein, ein Boykott der Endrunde im Emirat am Golf werde die Probleme wie mangelhafte Arbeitsbedingungen und Homophobie wohl nicht lösen, meinte der Mittelfeld-Star von Real Madrid, der dem konzertierten DFB-Protest verletzungsbedingt ferngeblieben war. "Ich glaube eher, dass es wichtig ist, auf die Probleme noch mal extrem aufmerksam zu machen, ja vielleicht auch im Vorfeld oder" - und das wäre dann ein Paradigmenwechsel in der Protestkultur der Profifußballer - "auch während so einem Turnier, sodass sich vielleicht daraus was verbessern kann", sagte Kroos in der neuesten Auflage des Podcasts "Einfach mal Luppen" mit seinem Bruder Felix.

Die FIFA, die nie einen Zweifel daran gelassen hat, die umstrittene WM in Katar durchzuziehen, verzichtete ausdrücklich darauf, die Protestaktionen während der Länderspielwoche zu sanktionieren. Politische Meinungsäußerungen sind den Mannschaften im Umfeld der Partien eigentlich streng verboten. Strafen, das wissen sie in der FIFA-Zentrale in Zürich und auch in Doha natürlich, würden den Protest befeuern statt befrieden. "Die FIFA glaubt an die Meinungsfreiheit und an die Kraft des Fußballs, den positiven Wandel voranzutreiben", hieß es aus Zürich. Würden die Spieler aber, wie von Kroos gefordert, ihren Protest auch in den katarischen Sommer 2022 tragen, dürfte es eisig werden. Die Gastgeber während des Turniers zu brüskieren, das könnte die FIFA den Profis nicht durchgehen lassen. Es käme zum ultimativen Härtetest, wie ernst es Teams, Sportlern und auch dem Weltverband mit ihren in Kampagnenform vorgetragenen Werten ist.

"Wahnsinn", "Gewisse Gewalt"

Kroos ging noch einen Schritt weiter - und bezeichnete die von Korruptionsvorwürfen massiv belastete WM-Vergabe durch das damalige FIFA-Exekutivkomitee um Ex-Präsident Joseph Blatter, Franz Beckenbauer und den bekennenden Katar-Wähler Michel Platini im Jahr 2010 als grundsätzlichen Fehler. In einem mehrere Minuten dauernden Monolog zählte Kroos die aus seiner Sicht schlimmen Arbeitsbedingungen nicht nur an WM-Stadien auf und sprach davon, "dass viele Arbeiter aus Katar aber auch Gastarbeiter aus anderen Ländern da einfach so ein pausenloses Arbeiten haben bei teilweise 50 Grad Hitze".

Sie würden "da einfach auch unter mangelnder Ernährung leiden, fehlendes Trinkwasser, was gerade bei den Temperaturen ein Wahnsinn ist", fügte Kroos an und monierte eine "gewisse Gewalt", die "an den Arbeitenden ausgeführt wird". Die anhaltende Boykott-Frage werde ohnehin "eigentlich auch viel zu spät diskutiert", bemerkte er. Oder präziser: "Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind", sagte Nationalmannschaftskollege Joshua Kimmich jüngst in Bukarest. Blatter hatte im Dezember 2010 den AUsrichter Katar aus dem Umschlag gezogen.

Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte unterstützt die Aktionen der deutschen Nationalmannschaft. "Wer zu Menschenrechtsverletzungen schweigt, der handelt nicht etwa unpolitisch - so wie es der Sport für sich in Anspruch nimmt", sagte die FDP-Politikerin Gyde Jensen. "Sondern der setzt durch sein Schweigen ein eindeutiges politisches Zeichen, indem er die Zustände stillschweigend hinnimmt." Die DFB-Auswahl habe mit ihren Trikot-Aktionen in der WM-Qualifikation "das einzig Richtige getan", sie habe nicht länger geschwiegen.

Und das wenige Tage nachdem eine Recherche des "Guardian" ergeben hatte, dass in den vergangenen zehn Jahren mehr als 6500 Arbeiter aus fünf asiatischen Ländern im reichen Emirat Katar gestorben waren - eben dort, wo nächstes Jahr die Fußball-WM stattfinden soll. Über die moralischen Implikationen, dort das größte Turnier des Weltsports zu veranstalten, wird seit vielen Jahren gesprochen. Auch beim DFB. Die T-Shirt-Aktion war ein Symbol. Ein wichtiges noch dazu. "Diese Aktion in der Nationalmannschaft setzt ein wichtiges Zeichen für die Lage in Katar und erhöht den Druck auf die Regierung", sagte Sprecher Wolfgang Büttner von Human Rights Watch.

Der Direktor der Schweizer Nationalmannschaft fordert Sportler und vor allem Verbände auf, jetzt einen Schritt weiterzugehen. In einem Interview mit der Agentur Keystone-SDA sagte Pierluigi Tami, der Thematik müsse "man sich auf seriöse Art stellen, die Verbände müssen auch zusammenarbeiten. Wir dürfen nicht denken, dass wir das Problem mit ein paar Slogans auf T-Shirts lösen können." Der Schweizer Fußball-Verband SFV setze auf den Dialog mit der FIFA sowie Amnesty International. "Auf diesem Weg können wir auch Einfluss nehmen. Auch Amnesty International spricht sich übrigens gegen einen Boykott aus", sagte Tami.

Norwegens Nationaltrainer Stale Solbakken stieß ins selbe Horn. Bei den Protesten, die maßgeblich von Norwegens Team mit angestoßen worden waren, gehe es maßgeblich darum, "Druck auf die FIFA auszuüben, noch direkter, noch strenger mit den Behörden in Katar umzugehen, um strengere Auflagen zu machen". So konkret war aus den Reihen des DFB niemand geworden.

"Nicht das Verdienst der FIFA"

Die FIFA selbst weist bei Kritik an der Organisation und den Zuständen im Emirat regelmäßig auf Verbesserungen für die Arbeiter hin. "Die Menschenrechtslage in Katar hat sich verbessert. Das berichten Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International", sagte Jensen. "Der vermehrte globale öffentliche Druck, der durch die Berichterstattung über die menschenunwürdigen Zustände beim Bau der WM-Stadien entstanden ist, hat sicherlich dazu beigetragen. Das ist aber nicht der Verdienst der FIFA, sondern der von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten." Die Verbesserungen seien aber "äußerst fragil".

Die DFB-Stars planten nun laut Verteidiger Robin Gosens für die Partie am Abend gegen Nordmazedonien die dritte Aktion. "Es gibt nach wie vor Nachholbedarf. Ich glaube, dass Menschenrechte nicht verhandelbar sind, und da müssen wir eine gewisse Nachhaltigkeit reinbringen", sagte Bergamo-Profi Gosens im NDR2-Bundesligashow-Podcast.

Bundestrainer Joachim Löw hatte wie DFB-Präsident Fritz Keller das Engagement der Nationalspieler gelobt. Einen WM-Boykott hält der im Sommer scheidende Chefcoach aber wie Kroos für nicht zielführend. "Ein Boykott hilft niemandem. Man kann mit so einem Turnier Aufmerksamkeit in der ganzen Welt erzeugen und Dinge in die richtige Richtung bringen", sagte Löw. So sieht es auch sein Führungsspieler Kroos: "Was man allgemein sagen kann, und das ist auch wichtig, dass der Fußball natürlich auf die Probleme aufmerksam machen muss, auch mit der Reichweite und auch immer wieder."

Der DFB selbst hatte die Initiative, die, wie unisono aus der Mannschaft versichert wird, nicht mit den Verantwortlichen abgesprochen war, schon wenige Stunden später selbst kontaminiert. Mit einem als "Making Of" getarnten Hochglanzimageclip. Dafür gab es nach all dem Lob und der Anerkennung postwendend Spott und Ärger. "Skrupellos" nannte ihn der ehemalige Nationalspieler Dietmar Hamann. "Mit dem Elend Tausender PR zu machen, zeigt, wie weit ihr euch von uns entfernt habt." Aber das ist eine andere Geschichte.

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