Album der Woche:
Wenn ein Popkünstler oder eine Popkünstlerin ein Album unter eigenem Namen herausbringt, ist meistens Nabelschau angezeigt – oder ein persönlich motivierter Stilwechsel. Das galt, mehr als on the nose, für »Another Side of Bob Dylan« ebenso wie für Alben namens »Whitney«, »Britney Jean« oder »Janet«. Nun reiht sich der britische Rapstar Slowthai mit seinem zweiten Album in diese Tradition ein: Tyron Kaymone Frampton ist der bürgerliche Name des 26-Jährigen aus Northampton, dessen Debüt »Nothing Great About Britain« vor zwei Jahren nicht nur einen rohen, wütenden Brexitsoundtrack aus dem Prekariat bot, sondern zudem eines der besten britischen Hip-Hop-Alben der jüngsten Zeit war.
Der selbst stilisierte »Brexitbandit« teilte damals aus, bezeichnete Ex-Premierministerin Theresa May als »dickhead« und hielt während seiner Performance bei der Verleihung des renommierten Mercury-Musikpreises, für den er nominiert war, einen vermeintlich abgetrennten Boris-Johnson-Plastikkopf in die Höhe. Der Auftritt sorgte für ordentlich Aufsehen. Anfang 2020 dann verstrickte er sich bei einer Preisverleihung des Magazins »NME«, bei der als »Hero of the year« geehrt wurde, in einen äußerst anzüglichen Dialog mit Moderatorin und Komikerin Katherine Ryan. Danach wurde der weiße Working-Class-Rapper in den sozialen Medien als misogyn und sexistisch gebrandmarkt. So schnell können Helden fallen.
Zwischen Ryan und Slowthai ist inzwischen alles geklärt, sie fand's nicht so schlimm, er entschuldigte sich. Aber Frampton ist trotzdem derangiert. »I hate the internet«, zischt er am Ende seines Tracks »Play With Fire«; manchmal, rappt er bedröppelt, fühle es sich so an, als hätte er seinen Kopf in einen Mixer gesteckt. Das Stück beendet die erste, aggressivere Hälfte des Albums, das den brutalen Drive von »Nothing Great About Britain« reproduziert.
Allerdings teilt Slowthai nicht mehr ganz so deftig aus wie früher, sondern leckt seine Wunden. In »Cancelled« evoziert er eine blutrünstige Meute und Vampire, überlässt es dann aber seinem erfolgreichen Rapkollegen Skepta, über die Daumen-hoch-Daumen-runter-Justiz auf Twitter und Co. zu lästern: »How you gonna cancel me/ Twenty awards on the mantelpiece«. In »Mazza« (mit Feature-Gast A$AP Rocky) denkt er darüber nach, wieder in alte, kriminelle Verhaltensmuster zu verfallen, die er durch den Erfolg überwunden haben wollte: »Feel to revert to my old ways/ Cricket tickets, wraps of cocaine/ Sticky fingers, shoplifters«. Die Beats sind gut, die Tracks haben Punch, aber all das defensive Selbstmitleid nervt auf die Dauer.
Interessanter wird es zum Glück in der zweiten Hälfte des Albums, wenn es mit Gitarren, Piano-Tüdelü und Chorgesang nicht nur musikalisch poppiger und vielschichtiger wird, sondern auch ans Eingemachte geht. Tracks wie »Focus« und »Terms« greifen tief hinein in die Reflexion einer Jugend in den »broken homes« Großbritanniens, Slowthai schildert darin seine Einsamkeit, die Scham über sein Leben und sein Gefühl der gesellschaftlichen Marginalisierung; ein nachhaltiger Tritt in die Kniekehle: »No-one I can lean on/ So I'm limping with a walking stick«.
In die Nähe von Jay-Zs Gettohymne »Hard Knock Life« gerät er schließlich im Albumhöhepunkt »NHS«, in dem er seine Einsicht, das Gute wie auch das Schlechte im Leben akzeptieren zu müssen, vergleicht mit den oft mit Rückschlägen verbundenen Bemühungen des britischen National Health Service im Kampf gegen Corona. Für seine zwischen Selbsthass und Selbstbehauptung zerrissene Seele findet er berührende Verse: »If you suck in your tummy, when you're starin' at the mirror/ In your eyes you kill the flicker, serial killer«.
Fair enough, dass dieses unter widrigen Umständen – nach dem Shitstorm, mitten im Lockdown – entstandene zweite Album etwas unrund geworden ist: Zeichen der Zeit und Zeugnis eines Selbstfindungsprozesses. Im Brexit-Punk Slowthai verbirgt sich auch der sozial entfremdete Tyron. Es lohnt sich, beiden zuzuhören. (7.6)
Kurz Abgehört:
Steiner & Madlaina – »Wünsch mir Glück«
Das Schwanken zwischen Hedonismus, Unmut und Fatalismus der Millennials balancierte das Schweizer Duo Nora Steiner und Madlaina Pollina schon auf dem Debüt nonchalant mit Hits wie »Das schöne Leben« aus. Jetzt wurde der Indie-Schlager-Sound gefettet, die Songtexte politisch nachgesalzen. »Jung sein tut weh«, singen sie in einem ihrer Ohrwurmchansons. Oh, süßer Schmerz. (7.8)
Audio88 & Yassin – »Todesliste«
Das selbst ernannte »schlechte Gewissen« des Deutschrap war zu lange weg. Die Berliner Audio88 und Yassin erinnern auf ihrem fünften Album daran, dass es neben der Pandemie auch noch ein virulentes Naziproblem im Land gibt. Den Schrecken rechter »Todeslisten« wenden sie in eine grimmige Gegenoffensive, inklusive einem dann doch gewissenlosen Sturzflug in das Haus von Alice Weidel. Heijeijei. Aber gut. (8.0)
Claud – »Super Monster«
Man könnte Claud Mintz aus New York für eine Eastcoast-Version von Billie Eilish halten: Bunte Haare, charmant verkaterter Gesang, exzellent produzierte, manchmal tanzbare Dreampop-Songs über das melancholische Lebensgefühl der Jugend. Aber auf ihrem Debüt, dem ersten Album auf Phoebe Bridgers Label, erweist sich die 21-jährige Studentin als versierte Indie-Songwriterin mit Monsterhooks. Wird groß. (7.9)
The Pretty Reckless – »Death By Rock And Roll«
Apropos Billie Eilish: The Pretty Reckless hatten wohl auch eine Hymne für den 25. Bond-Film gepitcht, komplett mit John-Barry-Motiv (»25«). Macht sich nun umso besser auf dem vierten Album der Rockband um Ex-Aktrice Taylor Momsen (»Gossip Girl«), die hier das Erbe von Soundgarden mit weiblicher Rock'n'Roll-Attitüde antritt (»And So It Went«). Klanglich 25 Jahre zu spät, aber hey. (6.5)
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