(Motorsport-Total.com) - Das Kopieren von Ideen der Konkurrenz gehört in der Formel 1 seit jeher dazu. So haben mittlerweile fast alle Teams das "Down-Wash"-Konzept von Red Bull übernommen. Doch das Kopieren ist bei weitem keine Einbahnstraße. Auch die Bullen kupfern ab - und das bei einem Team, das wahrlich nicht auf Augenhöhe mit ihnen kämpft.
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Red Bull hat seinen neuen Übergang vom Unterboden zum Diffusor bei Williams abgekupfert Zoom
Konkret geht es um den Übergang vom Unterboden zur Diffusor-Oberseite, der beim Spanien-Grand-Prix Premiere feierte. Max Verstappens dominante Fahrt zum Sieg wurde durch ein Design ermöglicht, das eine deutlich sichtbare Delle aufwies (Pfeile). Interessanterweise stammt dieses Design von Williams - aus dem Jahr 2022!
In der Beschreibung an die FIA betont Red Bull: "Eine leichte Erhöhung des Anpressdrucks wurde am oberen Teil des Diffusors mit einem kurvigeren Profil erreicht, das sich an Designs von Konkurrenten orientiert". Der Fachbegriff für die Wölbung lautet "Inverse Pocket Arrangement", was so viel wie "nach innen gekehrte Tasche" bedeutet.
Red Bulls Chefingenieur Paul Monaghan antwortet auf unsere Frage: "Man kann nicht davon ausgehen, dass man in allen Bereichen des Autos die beste Lösung hat, wenn das Auto debütiert. Unsere Währung ist die Rundenzeit, nicht wahr?
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Darum geht's: Unterboden/Diffusor am Red Bull RB19 mit Kerbe Zoom
"Dieser Teil des Unterbodens ist seit 2022 bekannt. Ich erinnere mich, dass Williams ihn sehr früh hatte und andere Teams auch. Aber es muss nicht unbedingt auch bei uns funktionieren."
Denn nicht jede Idee passt in jedes Fahrzeugkonzept. Ein wenig mehr Abtrieb an dieser Stelle des Autos kann die gesamte Balance beeinflussen, der Schuss kann also auch nach hinten losgehen.
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Williams ist mit dem eingekerbten Diffusor bereits seit 2022 unterwegs Zoom
Der Vorteil ist, dass Red Bull nur wenig Zeit in CFD-Simulationen und Windkanalstunden investieren musste, da diese Lösung von der Konkurrenz bereits hinreichend erprobt wurde. Vielmehr ging es darum, die Idee in das Gesamtkonzept des Autos zu integrieren. Und genau für Spanien hat sich ein Fenster ergeben, in dem Abtrieb in diesem Bereich des Autos willkommen war.
Monaghan spielt die Sache herunter: "Es sieht größer aus, als es ist. Es geht um das Ende des Unterbodens. Das ist nicht das Wichtigste, aber es hilft ein wenig. Und man ist in der Höhe sehr eingeschränkt. Wir hatten das schon länger in der Pipeline. Jetzt waren wir in der Lage, es zu bringen, und das haben wir getan".
Noch mehr Ideen übernommen
Die Einkerbungen an den oberen Ecken des Diffusors sind nicht die einzige Idee, die Red Bull von der Konkurrenz übernehmen konnte, ohne allzu viel Zeit in die streng limitierten CFD- und Windkanalstunden investieren zu müssen.
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Die neue Biegung nach oben schaufelt Luft von der Unter- auf die Oberseite des Unterbodens Zoom
Hinter dem Ausschnitt mit C-förmigem Deckel, der bereits vorhanden war, ist der Unterboden nun nach oben gebogen. Solche Stellen gibt es an der Seite des Unterbodens bei vielen Rennställen. Die Luft wird von der Unterseite des Unterbodens nach oben geleitet.
Dies könnte auch mit der oben erwähnten Veränderung einhergehen, da sie die richtige Anströmung auf der Oberseite benötigt. Außerdem erzeugt die Luftströmung an dieser Stelle eine Art Schürze, da jegliche Luft von außen abgehalten wird und der Ground-Effect besser wirken kann.
Allerdings ist diese Veränderung ein zweischneidiges Schwert. Denn durch die Entnahme der Luft an der Unterseite nach oben verändert sich die Performance des Diffusors an zwei Stellen.
Mercedes: Die Folgen des Konzeptwechsels
Welche Auswirkungen die Änderung eines ganzen Fahrzeugkonzepts haben kann, zeigt sich bei den Rückspiegeln von Mercedes, die scheinbar einen Rückschritt darstellen. Mercedes hat sich von seinem anfänglich umstrittenen "Zeropod"-Konzept endgültig verabschiedet und sich dem von Red Bull eingeführten "Down-Wash"-Konzept angeschlossen.
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Scheinbarer Rückschritt an den Außenspiegeln des Mercedes W14 - links alt, rechts neu Zoom
Dieses erfordert allerdings eine völlig andere Anströmung der Seitenkästen. Vor einer ähnlichen Herausforderung stand Ferrari, die von "In-Wash" auf "Down-Wash" umstellten. Mercedes musste das zuvor ausgeklügelte Konzept der Außenspiegelverkleidung verwerfen.
Wie im rechten Teilbild (neue Lösung) zu sehen, ist die komplette Verkleidung des Außenspiegels verschwunden. Zuvor wurde der Luftstrom durch die Vollverkleidung um den Spiegel herumgeleitet. Jetzt ist er "nackter" und durchlässiger, sodass mehr Luftstrom die "Rutsche" nehmen kann, die die nach hinten abfallenden Seitenkästen mit dem "Down-Wash"-Konzept jetzt bilden.
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Dank der Kran-Bilder aus Monaco haben wir einen kompletten Blick auf den Unterboden des Mercedes W14 Zoom
Das ehemalige Weltmeisterteam hat für Lewis Hamilton und George Russell auch einen neuen Unterboden an den Start gebracht, der mehr Luft in den Diffusor leiten soll, um mehr Anpressdruck auf der Hinterachse zu generieren.
Um damit in Einklang zu kommen, testete Mercedes auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya verschiedene Lösungen für das Bodywork über dem Diffusor. Es gab Versuche mit einem Heckflügel für mittleren Abtrieb (oben) und mit viel Abtrieb (unten). Letzterer wurde im Rennen eingesetzt.
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Mercedes W14 mit unterschiedlichen Heckflügeln und Kühlauslässen in Barcelona Zoom
Noch auffälliger waren die unterschiedlichen Lösungen für die Belüftung. Mercedes gab dem "Großmaul" (unten) eine weitere Chance, kehrte aber für Qualifying und Rennen zur schmaleren Lösung (oben) zurück.
Aston Martins neuer Frontflügel
Aston Martin hat einen starken Saisonstart hingelegt, muss nun aber im Entwicklungsrennen mit den Topteams der Formel 1 mithalten. Erst Recht, wenn zur Saisonmitte der Reset ansteht, mit dem die Windkanal- und CFD-Stunden neu verteilt werden.
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Frontflügel (alt) des Aston Martin AMR23 Zoom
Um gegenüber Ferrari und Mercedes nicht ins Hintertreffen zu geraten, hat Aston Martin eine Reihe kleinerer Updates mit nach Barcelona gebracht. Beginnen wir mit dem Frontflügel, der auf den ersten Blick nicht viel anders aussieht, aber eine Reihe subtiler Änderungen mit sich bringt, die das Gesamtkonzept so stark beeinflussen, dass sogar die TV-Kamera an der Fahrzeugnase neu positioniert werden musste.
Zunächst wurden die beiden oberen Flaps (drei und vier) neu gestaltet. Dadurch wanderte das Verbindungsstück weiter nach innen. Außerdem wurde die Befestigung des Flaps an der Endplatte überarbeitet (in der Zeichnung der alten Version mit einem roten Pfeil gekennzeichnet).
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Frontflügel (neu) am Aston Martin AMR23 Zoom
Die Elemente zwei bis vier machen jetzt oben an der Anbindung alle erst einmal einen Schritt zurück von der Endplatte. Sie wachsen also zuerst nach innen und nicht wie in der alten Lösung nach unten. Diese Lösung ist häufiger in der Startaufstellung zu sehen. Eine Kerbe, die vorher im dritten Element war, ist jetzt im zweiten Element.
Durch all das entsteht mehr "Out-Wash". Es kann also mehr Luft um den Vorderreifen geleitet werden.
Heckflügel und Halo ebenfalls modifiziert
Auch am Heck des Autos gibt es Änderungen, damit die Vorteile des Frontflügels nicht verpuffen. Der neue Heckflügel kam bereits in Monaco zum Einsatz. Auffällig ist eine neue Lösung an der Ecke des Flügels, der so genannten "Tip Section".
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Heckflügel Aston Martin AMR23, im Kreis die alte Version Zoom
Bisher war es üblich, dass das Hauptflügelblatt irgendwie in die Endplatte mündet (Kreis unten links). Das ist hier nicht mehr der Fall, stattdessen thront ein Flap über der Endplatte. Dieser sorgt nicht nur für ein wenig Abtrieb, sondern auch für andere Druckverhältnisse dahinter.
Das wiederum beeinflusst die Wirbel hinter dem Flügel, die bei hoher Luftfeuchtigkeit gerne als Wirbelschleppen sichtbar werden. Die hier entstehenden Wirbel können von den anderen Teilen des Flügels noch weiter vorteilhaft genutzt werden.
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Geänderte Heckflügel-Endplatte am Aston Martin AMR23 Zoom
Auch die Innenseite der Endplatte wurde neu gestaltet. Eine deutlich sichtbare Kante fällt ins Auge (roter Pfeil). Diese so genannte "Swage Line" war bisher vor allem an den Außenprofilen der Heckflügel-Endplatten zu sehen. Die hier gezeigte Lösung ist noch deutlich kantiger als die entsprechende "Swage Line" auf der Außenseite der Endplatte des Aston Martin AMR23.
Wie beim Flap weiter oben geht es auch hier darum, den Luftstrom für andere Teile des Flügels nutzbar zu machen. Der "Beam Wing", also der Doppelflügel um den Auspuff herum, wurde ebenfalls so verändert, dass er mit dieser Endplatte entsprechend interagiert.
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Halo-Winglet am Aston Martin AMR23 Zoom
Aston Martin testete auch ein Teil, das in den offiziellen Unterlagen der FIA nicht erwähnt und nach kurzer Zeit wieder entfernt wurde. Es handelt sich um zwei Windabweiser, die zwischen den Logos von Peroni und Aramco am Halo angebracht wurden.
Es ist davon auszugehen, dass das Team bei den nächsten Rennen mit einer weiterentwickelten Variante dieser Lösung aufwarten wird. Ziel ist es, den Luftstrom rund um den Halo weiter zu optimieren und die Performance des Fahrzeugs weiter hinten zu verbessern.
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