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Schach: Chess.com wirft Hans Niemann Betrug in 112 Partien vor – wie belastbar ist der Bericht? - DER SPIEGEL

Magnus Carlsen und Hans Niemann Anfang September in St. Louis: Keine Hinweise auf Betrug

Magnus Carlsen und Hans Niemann Anfang September in St. Louis: Keine Hinweise auf Betrug

Foto: Crystal Fuller / dpa

Es ist der größte Schachskandal seit Jahren: Weltmeister Magnus Carlsen wirft seinem Kontrahenten Hans Niemann Betrug vor. Anfang September stieg Carlsen, nachdem er überraschend gegen den 19 Jahre alten US-Amerikaner verloren hatte, aus einem Turnier aus . Seitdem diskutieren Großmeister, Streamer und Betrugsexperten, was an den Vorwürfen dran ist.

Chess.com hat nun einen insgesamt 72-seitigen Bericht vorgelegt , in dem Niemann Betrug in einem noch größeren Stil vorgeworfen wird. Wie belastbar sind die Vorwürfe? Und welche Schlüsse kann man daraus ziehen? Der Überblick.

Was wirft chess.com Hans Niemann vor?

Chess.com hat Hans Niemanns Partien, die er auf der Plattform gespielt hat, untersucht und kommt zu dem Schluss, dass er »wahrscheinlich viel mehr online betrogen hat, als seine öffentlichen Aussagen vermuten lassen«. Dazu veröffentlicht chess.com eine Tabelle, die 112 Partien auflistet, in denen Niemann betrogen haben soll.

Erstmals fiel er demnach bei einem Turnier im Juli 2015 auf, dann wieder im April 2017 und anschließend in zahlreichen Turnieren und Partien im Jahr 2020. Unter anderem soll Niemann in einer Serie gegen Vizeweltmeister Jan Nepomnjachtchi betrogen haben. Womöglich wusste er damals nicht, wer sein Gegner ist, denn Nepomnjachtchi spielte offenbar mit einem anonymen Account.

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Niemann hatte Anfang September bereits zugegeben, im Alter von zwölf Jahren bei einem Turnier auf chess.com, bei dem es auch um Preisgeld ging, zum Spaß betrogen zu haben. Dabei handelt es sich um das Turnier im Jahr 2015. Außerdem hatte Niemann gestanden, im Alter von 16 Jahren wahllos bei einigen Partien betrogen zu haben, allerdings nicht mehr bei Preisgeld-Turnieren und auch nicht während seiner Livestreams auf der Plattform Twitch.

Chess.com wirft Niemann nun vor, nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Die Analyse zeige, dass Niemann wahrscheinlich doch bei vier Preisgeld-Turnieren 2017 und 2020 sowie bei 25 Partien während seiner Livestreams betrogen habe, auch im Alter von 17 Jahren. Niemann soll den Betrug 2020 in einem privaten Telefongespräch mit Danny Rensch, dem Schachchef der Plattform, zugegeben haben. Deswegen sei sein Account damals gesperrt worden. Später wurde er wieder freigegeben.

Wie belastbar sind die Vorwürfe?

Die Angaben von chess.com erscheinen plausibel. Niemann hatte öffentlich schon Betrug gestanden. Dass er womöglich doch bei noch mehr Partien Computerhilfe hatte, erscheint nicht überraschend.

Chess.com beruft sich auf eigene Analysedaten, einen sogenannten Strength Score. Dieser misst, wie oft ein Spieler die von einem Schachcomputer errechneten stärksten Züge spielt. Vereinfacht gesagt: die Genauigkeit des Spiels. Je höher die Genauigkeit, desto größer der Hinweis darauf, dass der Spieler womöglich Computerhilfe hatte. Der Wert kann gut für Vergleiche herangezogen werden: Spielt jemand deutlich über seinem durchschnittlichen Niveau? »Jeder Spieler kann starke Schachpartien spielen, aber die Stärkebewertung kann uns sagen, ob ein anhaltend starkes Spiel plausibel ist oder jenseits des Bereichs der statistischen Wahrscheinlichkeit liegt, wenn man es mit dem allgemeinen Fähigkeitsniveau des Spielers vergleicht«, hießt es in dem Bericht.

Menschliche Spitzenwerte liegen chess.com zufolge bei 90 bis 100 von möglichen 150 Punkten. Niemann soll bei einem Strength Score von etwa 85 gelegen haben. Überführte Betrüger auf der Plattform hatten schon teils deutlich niedrigere Werte.

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Chess.com schreibt zudem, Niemann spiele dann besser, wenn er während Partien mit seinem Rechner ein anderes Fenster aufrufe. Das würde dafür sprechen, dass Niemann auf seinem Computer ein Schachprogramm laufen ließ, das ihm die richtigen Züge zeigte. Zudem soll der renommierte Experte und sogenannte Schachdetektiv Ken Regan die chess.com-Analyse stützen.

Hat Niemann in der Partie gegen Carlsen betrogen?

Schachweltmeister Magnus Carlsen hatte Anfang September überraschend eine Partie bei einem persönlichen Aufeinandertreffen mit Niemann verloren und das renommierte Turnier in St. Louis daraufhin plötzlich verlassen. Wochen später erhob er Betrugsvorwürfe gegen Niemann, das Spiel seines Gegners in der Partie sei verdächtig gewesen.

Experten konnten bislang keine Hinweise auf einen möglichen Betrug in der Partie finden. Chess.com schließt sich dem an: »Unserer Ansicht nach gibt es keine konkreten statistischen Beweise dafür, dass er in einer Partie gegen Magnus oder in irgendeiner anderen Over-the-Board-Partie, das heißt im persönlichen Aufeinandertreffen, betrogen hat.«

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    Ist Niemanns Entwicklung ungewöhnlich?

    Chess.com hat sich zudem Niemanns Entwicklung im klassischen Schach angesehen, um weitere Hinweise auf Betrug zu finden. Niemann sei etwa der einzige junge Spieler in den Top-50 der Weltrangliste, der erst im Alter von 17 Jahren Großmeister geworden sei. Alle anderen Talente hätten den Titel im Alter zwischen 12 und 16 Jahren errungen. Niemanns Elo-Leistungen, das Maß in der Weltrangliste, hätten außerdem zweimal deutlich stagniert, ungewöhnlich für aufstrebende Talente. Zuletzt sei Niemann in sehr kurzer Zeit ein sehr starker Spieler geworden.

    Diese Statistiken sind keine Beweise für Betrug. Sie zeigen lediglich, dass Niemann sich ungewöhnlich gut entwickelt hat. Der US-Amerikaner hatte stagnierende Leistungen mit einer Zeit ohne gutes Training begründet. Im Alter von 16 Jahren kam demnach der Wendepunkt: Er zog allein nach New York City, entschied sich, Schachprofi werden zu wollen und investierte nach eigenen Angaben viel mehr Energie in hartes Training von etwa zehn bis zwölf Stunden pro Tag . Dadurch sei er so gut geworden.

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      Was sagt Niemann zu dem Bericht?

      Hans Niemann spielt derzeit bei der US-Meisterschaft. Bei größeren Turnieren dieser Art gehört es zu den normalen Sicherheitsvorkehrungen, alle Spieler auf verbotene Hilfsmittel zu überprüfen. Im Fall von Niemann wurde es diesmal aber zu einem Medienereignis.

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      Niemann gewann seine erste Partie und wurde danach in einem Interview auf seine derzeitige Situation angesprochen. »Ich denke, dass diese Partie eine Botschaft an alle ist«, sagte Niemann. »Die ganze Sache hat damit begonnen, dass ich gesagt habe, dass Schach für sich selbst spricht. Ich denke, dass diese Partie für sich selbst spricht und den Schachspieler zeigt, der ich bin. Sie hat auch gezeigt, dass ich nicht nachgeben werde und dass ich hier mein bestes Schach spielen werde, egal unter welchem Druck ich stehe. Schach spricht für sich selbst, das ist alles, was ich sagen kann.« Zu den Vorwürfen von chess.com äußerte er sich nicht.

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      Welche Rolle spielt chess.com?

      Chess.com und Weltmeister Magnus Carlsen – da war doch was. Die Plattform hat vor Kurzem angekündigt, Carlsens Firmengruppe Play Magnus zu kaufen . Zwischen chess.com und Carlsen besteht also eine Geschäftsbeziehung. Dadurch kam zuletzt die Frage auf, ob die Mitarbeiter ihn nicht mit Informationen über Niemanns Betrugs-Vergangenheit versorgt haben könnten und er deshalb die Vorwürfe erhoben hatte. Konkret äußert sich chess.com nicht dazu und schreibt nur, dass Carlsen und sein Team die Plattform nie unter Druck gesetzt hätten, Niemanns Account zu sperren.

      Die Frage ist auch, ob der Betrugsskandal, der weltweit große Aufmerksamkeit erregt, der Plattform nutzt oder schadet. Einerseits ist sie durch den aufgeblähten Bericht, der sich auch auf den Onlinebetrug hätte beschränken können, prominent in den Schlagzeilen, andererseits könnten Betrugsprobleme dem Ruf der Seite schaden. Auf SPIEGEL-Anfrage wollte sich chess.com nicht dazu äußern, wie sich die Userzahlen seit Anfang September entwickelt haben.

      Welchen Einfluss haben die Vorwürfe auf die Fide-Ermittlungen?

      Der Schachweltverband Fide hat zu dem Carlsen-Niemann-Konflikt vor wenigen Tagen ein Untersuchungsverfahren eingeleitet. Das eingesetzte Gremium schaue sich den chess.com-Bericht an, teilt die Fide auf SPIEGEL-Anfrage mit. Das Unternehmen habe den Bericht direkt an den Weltverband geschickt.

      Da schon bekannt war, dass Niemann in der Vergangenheit online betrogen hat, geht es für viele Beobachter nun darum, ob es noch Beweise geben wird, dass der 19-Jährige auch im klassischen Schach am Brett betrogen hat. Für einige Beobachter aus der Schachwelt wiegt Betrug am Brett schwerer als online, womöglich auch, weil es dort meist um höhere Preisgelder geht.

      Ob die Fide Niemann bestrafen würde, wenn ihm Betrug nur online nachgewiesen werden könnte, hat der Weltverband bislang nicht kommentiert.

      Anmerkung: In einer früheren Version hieß es, Niemann werde Betrug in 102 Partien vorgeworfen – tatsächlich sind es 112 Partien. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.

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