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Zur Ruhe kommen: In "Heimkehr" erzählt Wolfgang Büscher vom Leben im Wald - MDR

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Der großer Reiseschriftsteller Wolfgang Büscher legt in seinem neuen Buch nicht wie gewohnt weite Strecken zurück, sein Bewegungsradius ist vielmehr eng begrenzt. Weniger existenziell ist die Erfahrung, die er macht, jedoch nicht. Es ist mehr Selbsterfahrung als Fremderfahrung. Die abgelegene Jagdhütte einer Fürstenfamilie im nordhessischen Wald, wo Büscher aufgewachsen ist, wird für ein knappes Jahr zu seinem Domizil. Alles ist äußerst einfach, es gibt kein fließendes Wasser, kein elektrisches Licht. Genauso will er es.

Zitat aus dem Buch "Heimkehr" "Der Ofen war lange aus, ich lag wach und horchte hinaus in eine Schwärze, die in der großen Stadt unbekannt ist. Die rief mir ihre Fragen nach, ihren Spott, und eine schlagfertige Antwort fiel mir nicht ein. Eines Tages war er da gewesen, der Entschluss, das hier zu tun, und ich hatte es getan. Das war alles, mehr wusste ich nicht. Wüsste ich mehr, wäre ich jetzt nicht hier."

Ein leises Buch, dass niemanden bekehren will

Die abgeschiedene Hütte, die Henry David Thoreau für zwei Jahre bewohnte, kommt einem in den Sinn. Der amerikanische Schriftsteller schrieb in seinem berühmten Aussteigerbuch "Walden": "Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte."

Büscher formuliert es zurückhaltender, weniger pathetisch: "Ich war nicht mehr einer, der in den Wald geht, ich würde einer aus dem Wald sein." Überhaupt ist sein Buch leiser. Er predigt nicht wie Thoreau, und er will niemanden bekehren. Büscher ist kein Ideologe, er ist Erzähler. "Und wie mit dem Jahrmaß war es mit dem Maß der Tage, mit sanfter Gewalt drückte es mich in seinen Zyklus hinein", schreibt er in seiner vielfach gerühmten, melodischen Prosa. Der Aussteiger sucht ein Leben ohne Ablenkung in der Abgeschiedenheit fern der lauten Stadt.

Zitat aus dem Buch "Heimkehr" "Fragte mich jemand, was das sei, Freiheit, müsste ich antworten, nichts Besonderes, aber etwas sehr Süßes. Ein köstlicher Schauer, der über dich läuft. Und etwas sehr Einfaches. Frei war ich in einem ganz praktischen Sinn, niemand sagte mir, was zu machen war, keine Ampel, kein Anruf befahl mir zu gehen, zu stehen, dies oder jenes zu tun oder zu lassen – als waldfreier Mann, der ich war, kippte ich am Morgen den Rest kalten Kaffee fort und schlug den Weg in eine Richtung ein, die mir gerade gefiel."

Ein Eremit wird Wolfgang Büscher nicht

Zum Eremiten wird er nicht. Der unkonventionelle, zupackende Förster nimmt den Mann aus der Stadt mit in seinen Wald. Beschauliche, romantische Begegnungen werden das eher nicht. Riesige Holzerntemaschinen rücken den Sturmschäden zu Leibe, gegen die Borkenkäferplage hingegen scheint kein Mittel zu wirken. Büscher geht mit Freunden der Fürstenfamilie, die er ein bisschen zu sehr verehrt, auf die Jagd. Und wie immer erzählt dieser Reporter auch vom Vergangenen: Der Vater des Fürsten war ein mit Himmler gut bekannter hochrangiger SS-Offizier.

Aber es ist die eigene Kindheitsvergangenheit, die drängender Raum einnimmt. Und es sind schuldhaft beladene, aber vor allem von großer Zuneigung und Dankbarkeit geprägte Erinnerungen an die Mutter, die zu den intensivsten und anrührendsten Passagen dieses Buches gehören. Mehrmals besucht der Sohn die Sterbende, um Abschied zu nehmen.

Zitat aus dem Buch "Heimkehr" "Wir hatten nun alle Zeit, die wir im Leben nicht gehabt hatten, nichts störte mehr. Wir waren in unserem Wünschen und Wollen gefangen gewesen, alle beide, nun waren wir Freie."

Wenn Büscher zu der Sterbenden fährt, bringt er jedes Mal den "Duft des Waldes" in ihr Zimmer mit, schreibt er einmal. Als er im Herbst die Jagdhütte und den Wald wieder verlässt, nimmt er vielleicht nicht den Geruch, wohl aber eine große Zufriedenheit mit. Der Zauber dieses schönen, feinfühligen Buches liegt nicht zuletzt darin, wie es vom Zur-Ruhe-Kommen erzählt.

Informationen zum Buch Wolfgang Büscher: "Heimkehr"

Erschienen im Rowohlt Berlin Verlag
204 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3737100892




September 02, 2020 at 09:00AM
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