In der Liga hat der FC Bayern München zumindest in dieser Saison seine furchteinflößende Aura verloren. Seit sechzehn Spielen hatte der VfB, egal ob daheim oder in der bayerischen Hauptstadt, nicht mehr gegen den großen Rivalen gewonnen. Die vergangenen dreizehn Partien um Punkte mit dem deutschen Rekordmeister gingen für die Schwaben samt und sonders deprimierend aus: Es setzte Niederlage auf Niederlage. Diesmal aber war die Hoffnung des VfB beim nächsten Versuch im eigenen Stadion begründet. Und sie zahlte sich schließlich auch aus, da die Stuttgarter den Bann mit einem hart erkämpften 3:1-Sieg durch die Treffer von Stergiou (29. Minute), Jeong (83.) und Silas (90.+3) brachen, nachdem der Münchner Ausgleich durch einen Elfmeter vom Ligaschützenkönig Harry Kane (37.) nicht bis zum Ende verteidigt werden konnte.
„Total unnötig“, sagte Tuchel später vor den TV-Kameras zur Niederlage, ehe er achselzuckend hinzufügte: „Ganz ehrlich: Wenn es ein Spiel gab, das ich so schnell wie möglich ahake, dann dieses. Es ist schon vergessen. Ich verschwende keine Minute mehr darauf.“
Das vor allem kämpferisch sehenswerte Duell zwischen dem Tabellendritten und Saisonaufsteiger par excellence, der in der vorjährigen Abschlusstabelle noch Drittletzter war, und dem vom neuen Klassenprimus Bayer 04 Leverkusen abgehängten Tabellenzweiten war nie langweilig und in vielen Szenen atemraubend – mit dem besseren Ende für den nur noch zwei Punkte hinter den Bayern rangierenden VfB.
Da beide Teams schon für die Champions-League-Saison 2024/25 qualifiziert sind, freuten sich 60.000 Zuschauer in der ausverkauften Arena auf einen womöglich spektakulären, tabellarisch aber so oder so erst einmal folgenlosen Südschlager. Ehe aber die eine oder andere Mannschaft den ersten Stich machen konnte, musste ein Bienenschwarm aus dem Stadion expediert werden, der es sich in der Untertürkheimer Kurve auf einer Hintertorkamera bei freiem Eintritt gemütlich gemacht hatte. Da sich rasch ein Fachmann fand, der die Bienenkönigin einfing, sodass der Schwarm Reißaus nahm, hatten alle, die genau hinschauen wollten, wieder freie Sicht.
Dier mit Kopfverletzung, Guerrero humpelt
Sie sahen eine auf sechs Positionen radikal veränderte Bayern-Startelf, die beim Anpfiff zum Champions-League-Halbfinalhinspiel gegen Real Madrid (2:2) am vergangenen Dienstag noch mit den diesmal geschonten Mazraoui, Laimer, Goretzka, Müller und Sané sowie dem wegen einer Sehnenreizung erst gar nicht in den Kader berufenen Musiala antrat und drei Tage vor dem Rückspiel in Madrid (Mittwoch, 21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei DAZN) beim Anpfiff in Stuttgart auf Davies, Pavlovic, Guerreiro, Gnabry, Choupo-Moting und Tel vertraute. Der VfB dagegen musste die gelbgesperrten Mittelstädt und Millot ersetzen durch den in die Startelf zurückgekehrten Stiller und den Franzosen Rouault.
Die Rollenverteilung in diesem Duell war von vornherein klar: Der VfB attackierte, die Bayern wehrten sich. Bestens zu sehen beim Blick auf den hartgesottenen englischen Innenverteidiger Dier, der sich am Kopf verletzte, aber zunächst mit einem Kopfverband weiterspielte. Nur wenig später ging es für Guerreiro nicht weiter. Der Portugiese humpelte mit einer Verletzung am linken Bein vom Feld und wurde von Leon Goretzka ersetzt (17.). Die ohnehin schon angespannte Personallage der Münchner verschärfte sich vor dem Duell mit Real weiter. Laut Trainer Tuchel werde Guerreiro gegen Real „sehr wahrscheinlich“ fehlen. „Dem geht es gar nicht gut, der läuft auf Krücken“, berichtete Tuchel bei Sky nach dem Spiel und äußerte mit Blick auf die Verletzten: „Es ist verhext.“
Die Münchner wehrten sich nach Kräften gegen die schwäbische Wucht. So blockte Dier mit seinem Brummschädel einen harten Schuss von Guirassy auf der Torlinie (28.). Eine Minute später waren die Stuttgarter dann doch erfolgreich – mit einem feinfühligen Lupfer des schweizerischen Innenverteidigers Stergiou. Die 1:0-Führung hielt nicht lange, weil Kane sich die Gelegenheit zu einem Strafstoß nicht nehmen ließ, nachdem der VfB-Kapitän Waldemar Anton seinen Gegenspieler Serge Gnabry mit ausgestrecktem Arm leicht am Kopf getroffen hatte. Schiedsrichter Welz genügte das, um auf den Punkt zu zeigen, und Harrry Kane bedankte sich mit seinem 36. Saisontreffer, als er den Strafstoß lässig ins rechte Eck schob, während Torhüter Nübel auf das linke Toreck spekuliert hatte.
Mit dem 1:1 zur Pause konnten die Münchner gut leben, während der VfB mehreren guten Gelegenheiten nachtrauerte. Die Zuschauer hüben wie drüben wurden mit einem sehenswerten Duell auf hohem Intensitätsniveau verwöhnt. Die Frage war: Würde das so weitergehen, oder würden die Bayern beim Blick auf ihre Megaaufgabe in Madrid einen Gang zurückschalten? Der wackere Dier zumindest hatte schon Feierabend, um gegen Real wieder mit kühlem Kopf bei der Arbeit zu sein. Ihn vertrat der Franzose Dayot Upamécano. Auch er staunte, als der allein auf Nübel zustürmende Choupo-Moting den Ball am Tor vorbei setzte, statt das 2:1 für seine Mannschaft zu erzielen (48.).
Die Münchner blieben in ihrer defensiven Grundstruktur und vertrauten auch ein wenig auf das Spielglück, da der VfB weiter attackierte. Er scheiterte wiederholt auch an Nationaltorhüter Manuel Neuer, der wie schon nach zehn Minuten einen weiteren harten Schuss von Jungnationalspieler Führich parierte (51.) und einen weiteren Schuss von Undav (62.) abwehrte. Kollege Nübel, der ihn in einem oder zwei Jahren in München beerben soll, blieb weitgehend arbeitslos. Auch weil die Kollegen vor ihm alles wegblockten.
Als alles schon auf ein Remis hindeutete, belohnten sich die Schwaben doch noch für ihren unermüdlichen Angriffsgeist, der sich dank des auch für Neuer nicht mehr haltbaren Kopfballs durch den eingewechselten Koreaner Jeong, ein früherer Spieler des FC Bayern, und den Schuss des ebenfalls eingewechselten Silas letztlich ausgezahlt hatte.
Vor lauter Freude kletterte diesmal sogar der sonst so zurückhaltende Trainer Sebastian Hoeneß auf den Zaun und rief den Fans nicht nur in der Cannstatter Kurve zu: „Ich möchte euch so sehr danken für das, was wir mit euch zusammen in dieser Saison erleben durften. Der Applaus gehört den Jungs da unten, die sind so überragend!“ Kann man wohl sagen am Ende einer derart fabelhaften Stuttgarter Gipfeltour in der Bundesliga, belohnt mit der Champions-League-Teilnahme in der kommenden Spielzeit.
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