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Mit Laser auf Zitzen-Suche: Wie moderne Technik in Murrhardt beim Melken hilft - Nachrichten aus dem Rems-Murr-Kreis - Zeitungsverlag Waiblingen

Anni und Rita juckt’s vermutlich nicht. Für sie zählt, was im Futtertrog lagert. Während sie mampfen, rückt ihnen der Melkroboter auf die Pelle, und ein Computer wertet ihre Daten aus. Komplettüberwachung im Kuhstall sozusagen – dank ihr kann Landwirt Reinhard Wolf eine halbe Stunde länger schlafen.

"Freier Kuhverkehr" im Stall: Was bedeutet das?

Allerdings hatte er in der Nacht zuvor zum Großeinsatz ausrücken müssen: Eine seiner mehr als 60 Kühe sollte ihr erstes Kalb zur Welt bringen. Meistens läuft alles relativ reibungslos in diesen Fällen – doch diesmal nicht. Ein Kaiserschnitt wurde nötig, Reinhard Wolf musste einen Tierarzt rufen, mit vereinten Kräften versuchte man noch, das Kalb zu retten. Vergebens.

Am Tag danach liegt die Mutterkuh reichlich erschöpft in einem Séparée. Dr. Jutta Wilhelm vom Veterinäramt wirft einen kurzen Blick auf die Kaiserschnitt-Wunde, doch eigentlich ist die Tierärztin an diesem sonnigen Vormittag aus anderen Gründen auf Reinhard Wolfs Hof zugange: In dessen Milchviehbetrieb in Murrhardt-Kieselhof steht eine Routinekontrolle an.

In seinem Stall herrscht „freier Kuhverkehr“, erklärt Reinhard Wolf, und das bedeutet: Die Kühe traben im Stall herum, wie es ihnen gefällt. Sobald das Euter drückt, suchen sie eigenständig den Melkroboter auf. Dort allerdings endet die große Freiheit abrupt. Der Computer weiß mehr über die Kuh als die Kuh über sich selbst. Hat sie kein „Melkanrecht“, wie Wolf das nennt, kann sie im technisierten Melkstand warten bis zum Sankt Nimmerleinstag – der Melkroboter wird sie ignorieren.

Wer hat das Recht, gemolken zu werden - und wer nicht?

Bis zum Sankt Nimmerleinstag vergeht in diesem Fall nur kurze Zeit: Kein Mensch kann es sich leisten, dass eine Kuh ohne Melkanrecht den ganzen Betrieb aufhält. Also versetzt der Roboter der Kuh einen minikleinen Schubs, woraufhin sie schleunigst Platz macht: die Nächste bitte.

Diese darf offenbar ihre Milch abliefern. Per Laser sucht und findet die Maschine die Zitzen der melkwilligen Kuh, stülpt ihnen ihre Saugvorrichtung über, pumpt ab, was abzupumpen ist, nicht ohne vorher das Euter vollautomatisch und gründlich abgebürstet zu haben.

Dass die Maschine die abgezapfte Menge genauestens misst und speichert, welcher Kuh sie soeben die Milch entnommen hat, versteht sich von selbst. Alle Kühe tragen einen Chip bei sich, anhand dessen der Roboter erkennt, ob er es mit Anni oder Rita oder sonst wem zu tun hat.

Roboter verändert den Arbeitsalltag

Reinhard Wolf kennt seine Kühe auch so. Sein Arbeitsalltag hat sich ziemlich verändert, seit er Roboter im Einsatz hat. Der 29-Jährige kennt den Hof von Kindesbeinen an; er ist hier aufgewachsen. Zu dritt bewirtschaften sie den Betrieb; Wolfs Vater und ein Beschäftigter sind mit im Boot. Knapp 1600 Liter Milch liefern die Kühe zurzeit jeden Tag ab. Die Menge schwankt je nach Jahreszeit und abhängig davon, in welcher Laktationsphase sich die Kühe jeweils befinden. „Laktation“ bedeutet Milchabgabe.

Die Kälbchen müssen sich noch nicht mit Laktationsfragen herumschlagen. Engmaschig überwacht sind sie trotzdem. Für jedes Kalb gibt Reinhard Wolf eine „Futterkurve“ am Computer ein. Damit die jungen Wilden sich auch daran halten, erfasst die Technik haarklein, welches Kälbchen zu welcher Zeit wie viel getrunken hat.

Das Kalb bleibt nur kurz bei der Mutter

Sie trinken nur ganz am Anfang direkt bei der Mutter. Das ist immens wichtig, erklärt Tierärztin Jutta Wilhelm. Das Kolostrum, das ist die allererste Muttermilch nach der Geburt, verleiht dem Nachwuchs Abwehrkräfte. Schon wenige Stunden später steht der Abschied an. Kälber sollen nicht länger als 36 Stunden bei der Mutter verweilen, „sonst wird der Trennungsschmerz zu groß“, erklärt die Tierärztin. Je länger die beiden zusammenbleiben, desto mehr gewöhnen sie sich aneinander – und desto lauter wehklagen sie später, wenn der Landwirt sie trennt. Was jeder Mensch gut versteht, der selbst Kinder hat.

Jutta Wilhelm begutachtet derweil die in einem separaten Auslauf untergebrachten Kälber. Sie schaut nach dem „Haut- und Haarkleid“, das ein „Spiegel der Gesundheit“ sei. Ein Hautpilz hat Einzelne unter den Jungtieren befallen, doch das heilt recht schnell wieder aus und komme „in fast jedem Bestand vor.“

Während draußen die Kälber Besucher neugierig mustern, geht im großen Stall die Kuhdusche an. Aus Düsen dringt feuchter Nebel, den Reinhard Wolf seinen Kühen gern gönnt. Die Dusche kühlt die Tiere ab, was an diesem heißen Sommertag besonders guttut. Der Stall ist nach drei Seiten offen, so dass die Luft gut durchziehen kann. Kühe können mit Kälte sehr viel besser umgehen als mit Hitze.

Sie alle tragen keine Hörner mehr. Biobetriebe müssen ihren Kühen die Hörner lassen; Reinhard Wolf muss das nicht. Er findet’s gut und richtig, die Hörner zu entfernen – zu seinem eigenen Schutz und dem seines Mitarbeiters. Die Tiere würden sich gegenseitig verletzen, die Ranghöheren die anderen vom Futterplatz verdrängen, nennt Jutta Wilhelm weitere Gründe fürs Enthornen. Kuh „Anni“ geht trotzdem als Einhorn durch: Ihr ist ein Rest-Hörnchen geblieben. Das geht klar, weil Anni sich ordentlich benimmt im Stall: „Sie ist relativ umgänglich“, lobt Reinhard Wolf.

Polizei bei manchen Kontrollen mit dabei

Nicht immer laufen Kontrollen so reibungslos und weitestgehend beanstandungsfrei wie an diesem Vormittag im Kieselhof. Lisa Jung, Veterinärhygienekontrolleurin in Ausbildung, war erst am Vortag mit einer reichlich unangenehmen Kontrolle konfrontiert. Das Veterinäramt hatte für diesen Fall die Polizei gebeten, zur Sicherheit Beamte mitzuschicken. Sie greifen ein, sollte der betreffende Betriebsinhaber sich renitent verhalten, und sie können, sofern nötig, später als Zeugen aussagen. Nur in Ausnahmefällen verlaufen Kontrollen derart konfliktreich, berichtet Jutta Wilhelm.

Routiniert unterzieht sie Reinhard Wolfs Betrieb einem Rundum-Check: Ist genügend Wasser für die Tiere greifbar, gibt es Hinweise auf Klauenerkrankungen, sind die Ohrmarken korrekt vergeben, ist die Medikamentenvergabe richtig protokolliert, sind die Liegeflächen für die Kühe passend ausgestattet und möglichst trocken?

Was macht das Ufo im Stall in Murrhardt?

Während die Tierärztin mit dem Landwirt Diverses durchgeht, setzt sich ein Roboter in Bewegung, der aussieht wie ein Ufo. Noch so ein Automat, was will denn der jetzt hier?

Er schiebt das Futter vollautomatisch dorthin, wo die Kühe es erreichen können. Dem Zufall bleibt hier nichts überlassen, schon gar nicht das Intimste. Anhand eines von Software erzeugten Aktivitätsdiagrammes erkennt Reinhard Wolf, wann eine Kuh brünstig ist. Das Sperma für die künstliche Besamung hat Wolf in einem Stickstofftank gelagert. Wann der allergünstigste Zeitpunkt für die künstliche Besamung ist, leitet er aus den Infos ab, welche ihm die Technik aufs Handy spielt.

Reinhard Wolf plant einen Anbau. Ein Betrieb braucht eine gewisse Größe, sonst rechnet sich das alles nicht. Vor rund zehn Jahren hat er den Freilaufstall in Betrieb genommen. Dank der Technik kann er seine Arbeitszeit flexibler gestalten, aber weniger zu tun gibt es nicht: Mit den Computern kamen auch mehr Kühe in den Stall.

Deren Überwachung wird bald um ein weiteres Detail ergänzt. Was in der Abkalbebucht los ist, wird Reinhard Wolf bald auch mitten in der Nacht am Bildschirm beobachten können. Die Kamera ist bereits gekauft. „Ich muss sie nur noch installieren.“

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