Die löbliche Grundidee steckt im A des VAR. Beim Video Assistent Referee, dem englischen Begriff für den Videobeweis, steht es für assistieren, also unterstützen, helfen, zur Hand gehen. Der Videobeweis sollte den Schiedsrichter nicht länger als größten Dussel im Stadion dastehen lassen. Als zum Beispiel Frank Lampards Tor im WM-Achtelfinale 2010 gegen Deutschland nicht zählte, sah alle Welt spätestens in der ersten Zeitlupe, wie der Ball klar hinter der Linie aufkam. Alle Welt, nur der Schiedsrichter nicht. Den entscheidenden Mann wollte man, im digitalen Zeitalter, in dem auch im Stadion Zuschauer, Betreuer und Trainer die Szenen sofort auf dem Handy haben, nicht künstlich dumm halten. Der Videobeweis sollte den Fußball gerechter machen – und den Schiedsrichter schützen.

Das war gut gemeint. Aber dieser Ansatz kann sich auch ins Gegenteil verkehren. Wie sehr, sah man selten so offensichtlich wie am Freitagabend, als Sascha Stegemann auf dem Platz und Robert Hartmann im Videokeller einen spätestens in der Zeitlupe offensichtlich erkennbaren Elfmeter für Borussia Dortmund nicht gaben. Eine Fehlentscheidung, wie Stegemann später zugab. Eine Fehlentscheidung in der wichtigsten Phase der Saison, ein Blackout, der über Meisterschaft und Abstieg entscheiden kann. Wütende Dortmunder, Drohungen gegen Stegemann und eine tagelange Diskussion inklusive.

Trotz des technischen Hilfsmittels war der Schiedsrichter der Idiot im Stadion. Weil aus einem Instrument, das die Schiedsrichter schützen soll, eines geworden ist, das ihre Schwächen unerbittlich offenlegt. Prä Videobeweis konnten die Unparteiischen immerhin noch mildernde Umstände geltend machen: das Spiel so schnell, die Sicht so schlecht, blöder Tag, kann ja mal passieren. Man gestand den Unparteiischen diese Fehler zu. Es war ja nur ein Mensch am Werk.

Wenn die Schiris nun aber, obwohl sie technische Hilfe haben, immer noch erstaunliche Fehlentscheidungen treffen, glaubt man nicht mehr an Augenblicksversagen, sondern an Unvermögen. Trotz mehrfacher Superzeitlupen aus unterschiedlichsten Winkeln, unter Laborbedingungen im Kölner Keller, unbeeinflusst vom Stadionpublikum, machen die deutschen Schiris grobe Fehler. Das muss man erst einmal hinbekommen. Abgesehen vom Schiedsrichter und seinem Videoassistenten war am Freitagabend im Bochumer Ruhrstadion wohl kaum ein Dritter zu finden, der das Einsteigen von Danilo Soares gegen Karim Adeyemi nicht als elfmeterwürdig sah. Ausgerechnet Stegemann und Hartmann waren sich einig in ihrer Fehleinschätzung.

Gelegentlich mag der Videobeweis die Schiedsrichter schützen, nicht viel seltener scheint er ihr Scheitern zu entlarven. Jede Technik ist eben nur so klug wie der Mensch, der sie bedient oder überwacht. Und es verwundert bei der jüngeren Geschichte der deutschen Schiedsrichterei nicht, warum in Deutschland besonders heftig diskutiert wird. Deutsche Schiedsrichter sind international abgehängt. Große Spiele bekommen sie längst nicht mehr.

"Wir Schiris haben uns am Anfang immer ein bisschen gegen den Videobeweis gewehrt", sagte Felix Brych im Podcast Kicker meets DAZN. Mittlerweile ahnt man auch, warum.