Bremen – Als Theodor Gebre Selassie am Sonntagmittag mit seinem Auto aus der Tiefgarage des Weserstadions fuhr und die Werder-Fans sah, da konnte er gar nicht anders: Scheibe runter – und dann wurden Autogramme geschrieben, Selfies gemacht. Aktionen, die Spielern laut Hygienekonzept der DFL in der Corona-Pandemie eigentlich strengstens untersagt sind. Doch Gebre Selassie muss in dieser Saison nicht mehr spielen, weil sein SV Werder Bremen abgestiegen ist. Und er wird überhaupt nicht mehr in Deutschland spielen, weil er in seine tschechische Heimat zurückkehrt. Das war gleich doppelt emotional für den 34-Jährigen, der 2012 an die Weser gewechselt und dort zum Publikumsliebling geworden ist.
Immerhin gab es mehrere kleine Abschiede für ihn – den ersten einige Minuten nach dem Schlusspfiff bei der 2:4-Pleite gegen Borussia Mönchengladbach. Theodor Gebre Selassie war einfach im gegnerischen Strafraum stehengeblieben, wollte noch nicht wie die Kollegen in die Kabine. Er schien geschockt von diesem Moment, von der Tatsache, dass es ihn im neunten, seinem letzten Jahr bei Werder Bremen tatsächlich doch noch erwischt hatte.
Der Abstiegskampf gehörte zu seiner Zeit bei Werder Bremen wie der Regen. Doch Gebre Selassie wehrte sich immer erfolgreich, genauso wie im Laufe der Zeit gegen sämtliche Konkurrenten auf seiner rechten Abwehrseite. Und weil er fast nie verletzt war, hat er 271 Bundesliga-Spiele absolviert – von 306 möglichen. Das ist mehr als bemerkenswert. In der Liste der Werder-Profis mit den meisten Bundesliga-Einsätzen belegt Gebre Selassie immerhin Rang 16, kein anderer ausländischer Profi steht vor ihm. Direkt hinter ihm rangiert übrigens ein gewisser Thomas Schaaf. Der war sowohl bei Gebre Selassies Debüt als auch Abschied sein Trainer. Der Fußball schreibt manchmal schon sehr kuriose Geschichten.
Werder Bremen: 100 Mitarbeiter im Stadion applaudieren Theodor Gebre Selassie - trotz Abstieg
Theo Gebre Selassie wird daran eher nicht gedacht haben, als er auf dem ihm so vertrauten Rasen des Weserstadions stand. Teammanager Tim Barten unterbrach diesen besonderen Moment, zeigte Richtung Logen auf der Nordtribüne. Dort winkten „Theos“ Frau und seine beiden kleinen Kinder. Gerade wegen ihnen geht er nun zurück in die Heimat. Also machte der Profi des SV Werder Bremen ein paar Schritte, überlegte kurz, ob er die leeren Ränge hinaufsteigen sollte. Er ließ es und machte sich auf den Weg in die Kabine. Doch plötzlich brandete Applaus auf – völlig ungestört von irgendwelcher Musik, die ansonsten nach Spielen aus den Boxen dröhnt.
Die Stadionregie hatte dem Anlass des ersten Abstiegs seit 41 Jahren angemessen alles auf lautlos gestellt. Doch die 100 Werder-Mitarbeiter, die als Folge der ersten Corona-Lockerungen beim Spiel dabei gewesen waren, klatschten sich auf der Nordtribüne die Hände wund für ihren „Theo“. Der wusste gar nicht, wie er sich verhalten sollte. Zumal er auch noch zur Sorte der eher schüchternen Profis gehört. Ein kurzes Handzeichen musste als Dank genügen – und passte einfach auch am besten zu diesem Menschen, der selbst nicht gerne im Mittelpunkt steht, schon gar nicht nach einem Abstieg.
Werder Bremen: Sportchef Frank Baumann verabschiedet Theodor Gebre Selassie im Kreise der Mannschaft
Tags darauf ließ Theodor Gebre Selassie dann aber doch noch etwas mehr Nähe zu. Im Kreise der Mannschaft, die im Weserstadion noch einmal zusammengekommen war, wurde er von Sportchef Frank Baumann verabschiedet, bekam eine persönliche „Hands of God“-Grafik im Bilderrahmen. Und die lag dann auf dem Beifahrersitz seines Autos, als der Tscheche die Tiefgarage verließ. An der Ausfahrt warteten schon rund 30 Fans, ausgerüstet mit Handys, Stiften und Autogrammkarten.
Kein ganz einfacher Moment in Zeiten der Pandemie. Doch geschützt mit einer Maske erledigte Gebre Selassie alle Wünsche der Fans, die sich vorbildlich verhielten. Als „Theo“ dann weiterfuhr, gab es noch einmal Applaus – seinen vorerst letzten in Bremen. Es ist aber gut möglich, dass Werder Bremen den Vize-Kapitän in der neuen Saison noch einmal richtig verabschieden wird, dann möglichst mit Fans im Stadion. (kni) Auch interessant: Johan Micoud: „Ich will weinen“ - So trauern Ex-Stars des SV Werder Bremen mit dem Absteiger!
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