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"Plötzlich arm, plötzlich reich": Vorwürfe gegen Sat.1 und Imago TV - DWDL.de

Plötzlich arm, plötzlich reich © Sat.1
Im Mai 2018 hat Sat.1 erstmals "Plötzlich arm, plötzlich reich" ausgestrahlt. Seither gingen noch einige Folgen des von Imago TV produzierten Formats über den Sender. Das Konzept erinnert ein wenig an das von "Frauentausch": Familie A tauscht mit Familie B für eine Woche lang das Leben, inklusive Wohnung und Wochenbudget der jeweils anderen Familie. Zuletzt fanden auch Dreharbeiten mit Partyschlager-Sänger Ikke Hüftgold, der im echten Leben Matthias Distel heißt und als solcher zuletzt auch immer öfter auftrat, statt. Doch diese Dreharbeiten hat der Musiker abgebrochen - und macht Sat.1 und Imago TV schwere Vorwürfe. 

Konkret geht es um die Familie, mit der Distel für ein Woche lang sein Leben tauschen sollte. Der Sänger spricht von "skandalösen Zuständen bei Sat.1 und Imago TV", die das "Kindeswohl von zwei schwer traumatisierten Kindern mit Füßen treten" würden. Die Rede ist von "Missachtung des Kindeswohls" und einer "gewissenlosen Quotenjagd auf dem Rücken missbrauchter Kinder". Auf seiner Webseite hat Distel das Erlebte ausführlich geschildert, sowie eine Videobotschaft veröffentlicht. Er habe im Vorfeld nichts über die Tauschfamilie gewusst, erklärt Distel. Bereits nach zehn Minuten habe er jedoch weinend in der Wohnung seiner Tauschfamilie gestanden, so der Sänger.

"Hoch emotionalisiert und nicht fassend, dass in diesem Haushalt 4 Kinder leben sollten, erkundeten wir nach und nach die Räumlichkeiten." Nach rund einer Stunde hätten Diskussionen begonnen und Distel habe Fragen gestellt. "Ich stellte Fragen, aber ich bekam anfänglich für mich nur unbefriedigende Antworten der Redakteurin, die zunehmend nervöser wurde", so der Sänger. Als das Kamerateam am Abend verschwunden war, habe man etwa durch einen Kalender in der Wohnung herausgefunden, dass zwei Kinder und die Mutter schon länger in psychologischer Behandlung sind. Die Produktionsfirma hätte von dieser Behandlung der Kinder gewusst, behauptet Distel.

"Sofort kam die Frage bei uns auf, ob man Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren, die offensichtlich psychische Probleme haben, rechtlich und moralisch gesehen in ein Fernsehformat ziehen kann, bei dem 8 Tage am Stück bis zu 10 Stunden gearbeitet werden sollte." Als man das Drehteam am nächsten Tag darauf ansprach, seien die Antworten "ernüchternd" gewesen, so Distel. "Laut Redakteurin berief man sich lediglich auf die selbst in psychologischer Behandlung befindlichen Aussagen der Mutter und ein angebliches Telefonat mit der Familienhilfe."

"Ich zitierte die anwesende Redakteurin umgehend ins Nachbarzimmer und fragte sie, ob der Sender Sat.1, Imago TV und das komplette Team noch alle Tassen im Schrank habe."
Matthias Distel

Zwei Tage liefen die Dreharbeiten und währenddessen äußerte sich Distel vor laufenden Kameras nach eigenen Angaben wiederholt negativ über die Situation. Er sei daraufhin "mit Nachdruck darum gebeten [worden], meine Stimmung doch bitte ins Positive zu drehen, damit die Geschichte in ein ‘Happyend’ gedreht werden könne". Bei einem Gespräch mit der besten Freundin der Mutter erfuhr Distel laut eigenen Angaben dann noch vor laufenden Kameras, dass die Kinder in der Vergangenheit durch ihren Vater misshandelt worden sind. Daraufhin brach der Sänger die Dreharbeiten ab. "Ich zitierte die anwesende Redakteurin umgehend ins Nachbarzimmer und fragte sie, ob der Sender Sat.1, Imago TV und das komplette Team noch alle Tassen im Schrank habe", so Distel. 

Imago TV widerspricht einem Teil der Vorwürfe

Bei einem Gespräch mit dem Aufnahmeleiter kam laut Distel heraus, was zeitgleich wiederum in dessen Wohnung passiert sein soll. Dort habe sich eines der Kinder versucht selbst zu verletzten, ein anderes stand laut Distel auf dessen Balkon und schrie, dass er sich umbringen wolle. Dieser Darstellung widerspricht Andrea Schönhuber, Geschäftsführerin von Imago TV, in einer Stellungnahme gegenüber DWDL.de am Montagabend. "Herr Distel bezieht sich hier auf Aussagen unseres Aufnahmeleiters vor Ort, der diese Aussagen bestreitet", so Schönhuber. Sie stehe hinter ihrem Team, das jetzt aufklären wolle, wie es zu so einer Situation kommen konnte, so die Chefin von Imago TV. 

Ganz grundsätzlich lässt Imago TV wissen, dass die Beteiligten wie üblich gecastet wurden. "Das heißt, es werden lange Gespräche mit allen Beteiligten geführt, Videoaufnahmen und Selbsteinkünfte eingeholt." Das passiere, um auszuschließen, dass Menschen ins Fernsehen gebracht werden, "die sich in so schwierigen Lebenssituationen befinden, die der Öffentlichkeit nicht unterbreitet werden sollen". Ziel sei es nicht, Menschen bloßzustellen. Die Missbrauchs-Vorwürfe seien dem Sender erst während des Drehs unter anderem durch die Aussagen der Freundin der Mutter bekannt geworden. Vorher habe man nichts davon gewusst. 

"Ich habe Herrn Distel nach Drehabbruch eine lückenlose Aufklärung schriftlich zugesichert."
Andrea Schönhuber, Geschäftsführerin Imago TV

"Ethik, Moral, Anstand und das Kindeswohl wurden dabei vollkommen und in meinen Augen vorsätzlich ignoriert", beklagt Distel angesichts seiner Erfahrungen beim Dreh. "Ich kann die Empörung von Herrn Distel, ob der Zustände in der Familie und dem damit verbundenen Dreh nachvollziehen. Deshalb haben wir auch sofort den Drehabbruch mitgetragen. Ich habe Herrn Distel nach Drehabbruch eine lückenlose Aufklärung schriftlich zugesichert und unser Team hat bereits die entsprechenden Stellen informiert", so Andrea Schönhuber gegenüber DWDL.de. Sie selbst verwehre sich jedoch dagegen, dass sie von den Zuständen vor Ort gewusst hätte. "Das ist schlicht falsch."

Schönhuber erklärt: Nicht Distel habe im Alleingang den Dreh abgebrochen. Das Team sei von den gewonnen Erkenntnissen genauso schockiert gewesen, dass man vergangenen Mittwoch zusammen entschieden habe, die Dreharbeiten zu beenden. Distel stellt das anders dar: Er habe abgebrochen und eine Mail mit allen Informationen an "zwei leitende Mitarbeiter von Sat.1", an eine Redaktionsleiterin sowie an Andrea Schönhuber geschrieben. Distel, der den ganzen Vorfall am Montagmittag öffentlich machte, erklärte in seiner Stellungnahme, dass er vier Nächte mit sich gerungen habe, ob er das Thema öffentlich mache. In der angesprochenen Mail habe er noch geschrieben, dass er "im Sinne aller Beteiligten kein Interesse an einer öffentlichen Diskussion habe".

Trotz einer Antwort und "vielen Eingeständnissen von Frau Schönhuber" habe er seine Meinung geändert. Grund dafür ist laut Distel ein ähnlicher Vorfall bei Imago TV aus dem Jahr 2011. Dadurch müsse er davon ausgehen, "dass keine Lehren daraus gezogen wurden und dass dieser Fall aufgrund dessen unter den Teppich gekehrt werden könnte". Damals sorgte die von der Produktionsfirma hergestellte RTL-Dokusoap "Mietprellern auf der Spur" für negative Schlagzeilen (DWDL.de berichtete). 

Im aktuellen Fall fordert Matthias Distel von Sat.1 und Imago TV eine "lückenlose Aufklärung". In seinem Statement kündigte Distel auch an, dass er bereit dazu sei, Strafanzeige gegen Sender und Produktionsfirma zu stellen. Gegenüber der "Bild" wurde der Sänger inzwischen konkreter und kündigte einen solchen Schritt bereits für Dienstag an. Ihn selbst erwarte nach der Veröffentlichung ebenso ein Strafverfahren, schreibt Distel. Er verstoße gegen eine Vertragsklausel. "Diese Klauseln sind bei Produktionsverträgen üblich, damit unter anderem so etwas wie heute nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Ich nehme hiermit alle persönlichen Konsequenzen und Nachteile in Kauf."

Sat.1 meldet sich zu Wort, Distel kontert

Ob Distel aber tatsächlich rechtliche Konsequenzen fürchten muss, bleibt erstmal unklar. Gegenüber der "Bild" erklärte ein Sat.1-Sprecher, dass man sich bei Distel bedanke, dass er den Sender "über die Umstände beim Dreh informiert hat". Der Sprecher weiter: "Unmittelbar nachdem wir seine Mail erhalten haben, haben wir begonnen, mit der Produktionsfirma und der Familienhilfe zu reden, um der Familie zu helfen und um die Zusammenhänge aufzuarbeiten." Das sei noch nicht abgeschlossen. Kurios aber, dass Sat.1 erklärt die Folge nicht ausstrahlen zu wollen - angesichts des abgebrochenen Drehs liegt gar keine Folge vor. Auch einzelne Ausschnitte sollen aber nicht verwenden werden. Das habe man Distel auch bereits in der vergangenen Woche mitgeteilt. Dem wiederum widerspricht Distel auf Instagram: "Weder wurde mir das in dieser Form mitgeteilt, noch hat man sich von Senderseite mit der Familie auseinandergesetzt", schreibt er dort. 

Bei Imago TV räumt man gegenüber DWDL.de derweil am Montagabend "Fehler bei der Recherche" ein. "Wir waren zu leichtgläubig", heißt es von der Produktionsfirma. Die Familienhilfe hätte der Familie noch viel Spaß bei dem Dreh gewünscht. Der Redaktion sei klar gewesen, dass Mutter und Kinder eine "schwierige Trennungsgeschichte mit Gewalterfahrungen vom leiblichen Vater" hinter sich hatte. "Nicht umsonst war der Mutter das alleinige Sorgerecht zuerkannt worden, dieser Beschluss vom Amtsgericht hatte sich die Redaktion vorlegen lassen." Die konkreten Missbrauchs-Vorwürfe seien allerdings erst während des Drehs bekannt geworden. Die federführenden Redakteurinnen hätten ausführlich mit der Mutter über Probleme und familiäre Hintergrunde gesprochen, 25 Gespräche habe es gegeben, teilt Imago TV mit. Demnach habe sich die Mutter eine "Auszeit" für die Kinder in einem "reichen Haushalt" gewünscht. 

"Wir waren zu leichtgläubig."
Imago TV zu den Versäumnissen bei "Plötzlich arm, plötzlich reich"

"Trotz der Einhaltung unserer Sorgfaltspflicht scheint es in diesem besonderen Fall zu einer Ausnahmesituation gekommen zu sein. Imago TV – vertreten durch seine Geschäftsführerin Andrea Schönhuber – distanziert sich ausdrücklich von den Vorwürfen von Herrn Distel", heißt es von der Produktionsfirma gegenüber DWDL.de. Schönhuber sei selbst Mutter von drei Kindern im Alter zwischen 17 und 22 Jahren und wisse daher sehr wohl um den Schutzbedarf von Kindern und Jugendlichen. "In keiner Weise geht es Imago TV darum, Familien in Notsituationen auf der Jagd nach 'Quoten und Kapital' auszunutzen". Genau das hatte Distel der Produktionsfirma und dem Sender vorgeworfen.

"Imago TV ist sich stets seiner Verantwortung gegenüber sämtlicher Protagonisten, dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche, bewusst und nimmt diese mit höchster Sorgfaltspflicht an." In diesem Zusammenhang erklärt Imago TV in einer Stellungnahme auch, dass bei dem Format normalerweise beiden Parteien die aufgenommenen Szenen der Sendung gezeigt würden und der Film erst danach fertig geschnitten werde. Das sei ein grundsätzliches Prinzip von "Plötzlich arm, plötzlich reich". "Wir bieten den Familien dadurch die Möglichkeit die aufgenommen Szenen einzuordnen. So schützen wir alle Teilnehmer davor, dass sie sich falsch oder verletzend dargestellt fühlen."

Matthias Distel selbst gibt sich in seiner ausführlichen Stellungnahme auch selbstkritisch. Es bleibe bei ihm das Gefühl, sich mitschuldig gemacht zu haben, schreibt der Sänger. "Mitschuldig, weil ich selbst Teil dieser perversen, deutschen Medien und Fernsehkultur geworden bin." Versüßt werden sollte ihm die Teilnahme mit einer "stattlichen Gage", wie er selbst schreibt. "Dieses Geld hätte ich bekommen, wenn ich alle 9 Drehtage durchgezogen hätte und mich zudem an die Produktionsvorgaben gehalten hätte." Das sei ihm aber nicht möglich gewesen. 

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