26.08.2020 – In Deutschland ist es derzeit alles andere als ruhig im Wald: nicht nur trockene Äste knacken und Sägen kreischen – auch kontroverse Diskussionen um den Zustand des Waldes und seine Rettung werden lautstark geführt. Die Trockenheit der letzten Jahre macht den Bäumen zu schaffen und begünstigt Schädlinge. Immer wieder verursachen Stürme großflächigen Kahlschlag. Das lässt nicht nur Waldbesitzer verzweifeln, die um ihr Geschäftsmodell bangen und derzeit massenhaft vertrocknete oder kranke Bäume fällen. Auch für unser Klima hat das direkte Auswirkungen. Wenn der Wald als Kohlenstoffspeicher ausfällt, haben wir ein zusätzliches Problem.
Zuerst kommen uns die sichtbaren, schönen Dinge in den Sinn, die wir mit Wald verbinden: Lebensraum für unzählige Tiere und Pflanzen, ein Garant für Artenvielfalt und Biodiversität, ein Ort der Erholung, der klaren frischen Luft. Kaum vorstellbar, wenn er nicht mehr existieren würde.
Wälder sorgen aber auch für einige wichtige Ökosystemdienstleistungen, die wir bisher als selbstverständlich angesehen haben. Sie dienen als riesige Filter im Wasserkreislauf. Blätter und Nadeln lassen Wasser verdunsten, daraus entstehen Wolken, die Sonnenstrahlen reflektieren und damit die natürliche Erderwärmung minimieren. Zusätzlich entsteht durch die Verdunstung Kälte, zwar keine Minusgrade, aber wertvolle Kühlung. Und Wälder speichern Kohlenstoff: in den Blättern, Stämmen, Wurzeln und geben ihn sogar in den Boden ab.
Weltweit speichern Wälder aktuell 653 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Weil der Atmosphäre bei Bindung einer Tonne Kohlenstoff 3,67 Tonnen Kohlendioxid entzogen werden, ist die Bedeutung der Wälder als Kohlenstoffsenke enorm. In Deutschland sind derzeit in lebenden Bäumen und im Totholz rund 1,26 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden. (Quelle Waldzustandsbericht 2019). Hinzu kommen weitere enorme Mengen, die im Waldboden gespeichert sind.
Leidet der Wald, leiden auch wir. Weniger Wald filtert weniger Kohlendioxid aus der Atmosphäre, das dann zusätzlich zur Erderwärmung beiträgt. Deshalb sollten wir nicht tatenlos zusehen, wie die grünen Inseln in der Landschaft vor unseren Augen verschwinden.
Klimawandel trifft Forstwirtschaft
Während vor fünf Jahren noch alles in Ordnung schien, herrscht jetzt Alarmstufe Rot: Die letzten Jahre haben einen dramatischen Wandel herbeigeführt. Dem Wald geht es so schlecht wie nie. Die vergangenen Hitzesommer und die spärlichen Niederschläge im Winter haben dem Wald stark zugesetzt. Zusätzlich haben lokale Extremwetter zu vielen Schäden geführt. Wobei diese Schäden vor allem in den Monokulturen mit Nadelbaumbestand zu beklagen sind. Die Forstwirtschaft hat einfach zu lange auf die falsche Baum- und Bewirtschaftungsart gesetzt. Schon lange ist bekannt, dass Mischwälder, die verschiedene Arten und Bäume unterschiedlichen Alters beherbergen, viel widerstandsfähiger sind.
Der jährliche Waldzustandsbericht dokumentiert die negative Entwicklung. Nicht nur der Kronenzustand der Bäume wird dokumentiert, sondern auch immer mehr akute Schäden. Viele Bäume haben im Frühjahr 2019 nicht mehr ausgetrieben oder sind im Laufe des Sommers abgestorben. Die Borkenkäfer vermehren sich in Massen. Aber auch vielen Buchen und Eichen bereitet dieTrockenheit sichtbaren Stress.
Wenn die Bäume aufgrund von Wassermangel nicht mehr alle Äste und Blätter versorgen können, werfen sie Laub ab, in der Fachsprache heißt das Kronenverlichtung. Nur noch rund ein Fünftel der Bäume in deutschen Wäldern zeigt keine Kronenverlichtung, heißt es im Bericht des Landwirtschaftsministeriums 2019. Das bedeutet im Umkehrschluss: 80 Prozent der Bäume in Deutschland sind nicht mehr ganz gesund.
Im August 2020 kamen neuere Befunde an die Öffentlichkeit. Sie dokumentieren noch mehr Schäden als bisher angenommen. Statt 180.00 Hektar müssten 245.000 Hektar aufgeforstet werden. Weitaus größere Mengen Schadholz als gedacht fallen an. Besonders betroffen sind Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen. Diese Analyse des Landwirtschaftsministeriums beruht auf Daten aus Januar 2020, könnte also im Laufe des Jahres noch einmal korrigiert werden.
Wald am Scheideweg
Förstern und Waldbesitzern ist längst klar, dass sie etwas ändern müssen. Nur am Was und Wie scheiden sich die Geister. Seit Jahren debattiert die Branche über einen zukunftsfähigen Waldumbau. Dass Mischwälder widerstandsfähiger sind und ein gangbarer Kompromiss für Waldbesitzer, die vom Verkauf des Holzes leben, ist inzwischen weit verbreiteter Konsens. Aber die Zeit war schneller. Noch bevor ein großflächiger Umbau stattfinden konnte, haben Trockenheit und Stürme so viel Schaden angerichtet, dass man jetzt nur noch reagieren kann. Die Forstwirte ziehen durch die Wälder und markieren die toten Bäume, die gefällt werden sollen.
Die meisten Waldflächen in Deutschland sind Monokulturen, mit nur einer Baumsorte in Reih und Glied bepflanzt, meist Fichten und Kiefern. Lediglich vereinzelt oder an den Rändern finden sich Gäste in Form anderer Baumarten. Die Nadelbäume sind das Brot des Waldes. Ihr Holz lässt sich gut verarbeiten, schon nach 80 Jahren kann geerntet werden. Zeit bedeutet auch in diesem Geschäft Geld.
Es war ein Mangel an Holz, der die Holzwirtschaft begründete. Bevor nämlich die Kohle der Hauptenergieträger wurde, war es das Holz. Viele natürliche Wälder, meist Buchenbestände, fielen den Sägen zum Opfer. Als der Holzmangel offensichtlich wurde, entstand die Forstwirtschaft. Sie orientierte sich an der Landwirtschaft – Land bestellen und Früchte ernten. Das geht einfacher, wenn nur eine Sorte angebaut wird, weil Pflege und Holzschlag leichter zu bewerkstelligen sind. Über zwei Jahrhunderte hat dieses Modell unser Bild vom Wald geprägt. Verluste durch Stürme oder notwendigen Einschlag, um den verbleibenden Bäumen mehr Platz zu schaffen, waren eingepreist.
Der Klimawandel bringt die Nachteile von Monokulturen, insbesondere Nadelwäldern, ans Licht. Ihnen fehlen beispielsweise feuchter Humus, junge Bäume und Krautpflanzen, die Waldbränden die Ausbreitung erschweren. Sie sind anfälliger für die Ausbreitung von Schädlingen. Besonders der Borkenkäfer verbreitet sich rasant. Die Bäume verfügen eigentlich über einen natürlichen Abwehrmechanismus. Bohrt sich der Eindringling in ihre Rinde, wird er mit Harztropfen abgewehrt. Trockene Bäume haben dafür keine Kraft. Die Käfer nisten, vermehren sich und finden in den ebenfalls trockenen Nachbarbäumen noch mehr ideale Lebensbedingungen. Zusätzlich mähen extreme Stürme reihenweise die hoch aufgeschossenen Bäume um. Wo es besonders monokulturell und trocken zugeht, kollabieren die Wälder. Einige Biologen erwarten sogar, dass die Monokulturen auf Grund des Klimawandels in 10 bis 20 Jahren verloren sind.
Vom Klimaretter zum Klimaopfer
August 26, 2020 at 11:12AM
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Waldsterben in Deutschland: Was bedeutet dieser Wandel für unser Klima - energiezukunft | Nachrichten, Meinungen, Hintergründe
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