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vonThomas Stillbauer
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Experten raten, weniger Holz zu fällen. Das Land Hessen plant eine Aufforstung mit Millionenaufwand.
Irgendwo soll es geregnet haben, erzählt man sich. Glückwunsch. Genug war es jedenfalls nicht, weder für Gartenbesitzer und schon gar nicht für den Wald. Da drängt sich die verzweifelte Frage auf: Wie wäre es, wenn wir ihn einfach gössen? Im großen Stil bewässern, den Wald? Damit er nicht stirbt.
Das Thema bewegte in der vorigen Woche auch den Kurznachrichtendienst Twitter. „Wenn 97 Prozent der Frankfurter Bäume krank sind, vor allem wegen Wassermangels, warum gibt es keine Bewässerung im Stadtwald?“, fragte da einer. Und schlug vor: „Die Stadt könnte auch im Winter Wasser sammeln und im Sommer verbrauchen.“ Immer nur zu beklagen, dass es im Sommer zu wenig regne, bringe doch nichts.
Es ist nicht so, als hätte man in der Abteilung Stadtforst des Frankfurter Grünflächenamts darüber noch nicht nachgedacht. Der stellvertretende Forstchef Peter Rodenfels steigt gleich mit einem Rechenexempel ein: „Wenn wir wässern wollen, sind fünf Liter pro Quadratmeter die absolute Mindestmenge“, sagt er. „Das macht 50 000 Liter pro Hektar.“ Der Stadtwald hat rund 6000 Hektar. Selbst die Flugzeuge mit dem größten Fassungsvermögen der Welt wären also Ewigkeiten unterwegs für einen einzigen Gießdurchgang. „Außerdem wäre das eine riesige Lärm- und Umweltbelastung“, sagt Rodenfels. Also: nicht machbar. Geschweige denn für alle Flächen. Hessen hat knapp 900 000 Hektar Wald.
Drohnen werden andernorts eingesetzt, um Spritzmittel auszubringen. In Frankfurt fliegen Hubschrauber mit der Substanz gegen die Eichenprozessionsspinner, aber auch sie haben einen winzigen Bruchteil der Flüssigkeitsmenge an Bord, die man zum Wässern bräuchte. In Heidelberg, berichtet Rodenfels, habe man im Frühjahr junge Waldbestände gewässert mit Tankwagen – unter der Maßgabe, dass im Mai Schluss damit sein muss, egal, ob es regnet oder nicht. Dort setzte dann tatsächlich rechtzeitig Regen ein. Inzwischen ist er wieder versiegt. Auch im Karlsruher Hardtwald griff man kurzzeitig zum Mittel künstlicher Bewässerung. Ein Kampf gegen Windmühlenflügel, sagte Forstexperte und Buchautor Peter Wohlleben in einem Interview des Südwestrundfunks.
Vertrocknetes Kastanienlaub am Sachsenhäuser Mainufer.
© Oeser
Der berühmte Förster geht sogar von einem Minimum von zehn Litern pro Quadratmeter Waldboden aus und kommt auf 10 000 Kubikmeter pro Quadratkilometer: „Utopisch“, lautet sein Urteil: „Eine nette Geste, mehr leider nicht.“
Aus der Sicht Wohllebens sollten wir lieber weniger Holz einschlagen. „Auch tote Bäume geben Schatten“, sagt er. Statt zu roden, sollten wir sie kompakt stehen lassen, damit die Sonne den Waldboden nicht austrocknen kann. Ist der Grund erst einmal hartgetrocknet, verliert er seine Speicherfähigkeit – selbst Starkregen fließt dann im Sommer einfach oberflächlich ab, statt in die Erde zu dringen. Ein alter Laubwald schaffe bis zu 15 Grad Temperaturunterschied gegenüber den aufgeheizten Innenstädten. „Sehen wir zu, dass wir unseren Holzbedarf drosseln“, rät also der Fachmann. Zurzeit sei der Rohstoff aufgrund des Überangebots ohnehin kaum noch zu vermarkten.
Und die Idee mit dem Auffangen des Wassers? Sie ergebe sicherlich für Gegenden in Norddeutschland Sinn, die das überzählige Regenwasser im Februar ins Meer ableiteten und dann im Sommer unter Dürre litten, sagt Rodenfels. Der Frankfurter Forst fahre besser damit, das Wasser im Winter versickern zu lassen: „Das hilft unserem Wald dann das ganze Jahr.“ Was ist mit zusätzlichen Auffangbecken? „Wir wässern den Wald nicht“, sagt der Forstmann. „Wir wollen Bäume, die mit den Verhältnissen zurechtkommen.“ Solche Bäume für die Zukunft zu finden, sei Aufgabe intensiver Forschung.
„Standortgerecht“ lautet eines der Schlüsselwörter. Nach diesem Kriterium wählt das Land Hessen die Bäume aus, mit denen es die Wiederbewaldung plant. Etwa 26 000 Hektar Wald seien dem Bundesland allein infolge der Trockensommer 2018/19 verloren gegangen, heißt es in der Antwort der hessischen Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Torsten Felstehausen und Heidemarie Scheuch-Paschkewitz. Die aktuellen Verluste sind in dieser Zahl noch nicht enthalten.
Spezielle Karten zeigen das Trockenstressrisiko
Spezielle Karten zeigen das sogenannte Trockenstressrisiko für bestimmte Baumarten auf bestimmten Flächen an. Nach diesen Karten, so Hinz, wählten der Landesbetrieb Hessen-Forst und die Forstämter aus, was wo wachsen solle – auch wenn es bei dem Thema zurzeit keine Zukunftssicherheit geben kann. Dafür sind die Erfahrungswerte zu jung. Der Klimawandel kam so schnell, dass nicht annähernd ein Baumleben Zeit blieb, um zu erforschen, wer dem Trockenstress besonders gut trotzen kann und wer nicht. Satellitenbilder sollen helfen, das Ausmaß der Schäden einzuschätzen und die Fortentwicklung zu beobachten.
15 000 Euro pro Hektar werden laut Bericht der Ministerin für die Neubegründung stabiler Mischwälder fällig. Mangels erprobter Alternativen setzen viele Förster weiter auf Eichen: Vom vergangenen Herbst bis in dieses Frühjahr wurden 2,2 Millionen Eichen auf 300 Hektar hessischen Staatswalds gepflanzt. 9,2 Millionen Euro stehen im Staatsetat 2020 für die Verjüngung des Waldes, 3,5 Millionen für den Schutz gegen Wildschäden, zwölf Millionen im Zwölf-Punkte-Plan für die Wiederbewaldung bis 2023 zur Verfügung. Per Nachtragshaushalt gingen Hessen-Forst 11,6 Millionen Euro zum Ausgleich für Mindererlöse und Mehrkosten zu, und aufgrund „pandemiebedingten Mehrbedarfs“ erhielt er eine zusätzliche Aufstockung von zehn Millionen Euro.
Klingt nach viel Geld. Wenn wir den Klimawandel nicht mit aller Macht stoppen, war es allerdings lächerlich wenig Geld, verglichen mit dem, was noch kommt.
August 11, 2020 at 10:43PM
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Den Wald wässern? „Utopisch“ - fr.de
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Wald
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